Amelie Heidmann geht gleich in die Luft. Sie sitzt im Cockpit des Airbus A 320, neben ihr wartet Co-Pilot Luca Döhle auf Anweisungen, vor ihr liegt die Startbahn des Flughafens Hannover. „Ready for take off“, ertönt eine Ansage aus dem Lautsprecher, im Hintergrund dröhnen die Turbinen.
Nervös knetet die 13-Jährige die Hände im Schoß. Sie, die bisher nur als Passagierin in den Urlaub geflogen ist, hat gleich zum ersten Mal selbst die Verantwortung über die Maschine. Wenn sie wollte, könnte sie jetzt nahezu jeden Flughafen der Welt ansteuern. Zumindest theoretisch.
Denn während Amelie und ihre Crew in Hannover abheben, ist der Airbus A 320 fest im Boden verankert. Er ist ein Flugsimulator im Terminal des Bremer Flughafens – und der Flug von Hannover nach Bremen nur eine Übung.
Amelie gehört zu den acht Kindern und Jugendlichen im Alter von zehn bis 16 Jahren, die in dieser Woche an der „Flight Kids Summer School“ im Bremer Flughafen teilgenommen haben. Drei Tage lang haben sich dort vier Mädchen und vier Jungen mit den Grundlagen der Fliegerei vertraut gemacht.
Von zwei Piloten und Pädagogen haben sie gelernt, wie ein Flugzeug gesteuert wird, und welche Knöpfe dafür wichtig sind; sie haben Flugrouten unter Berücksichtigung der Wetterlage berechnet; sie haben geübt, mit welcher Geschwindigkeit in welcher Flughöhe geflogen wird und was Seitenruder und Klappen damit zu tun haben. Und sie konnten das theoretische Wissen am Ende im Simulator umsetzen und erste Flugerfahrungen sammeln.
Obwohl Ferien sind, ging es dabei zu wie in der Schule. Physik pauken statt Freizeit zu haben? Für Amelie ist das kein Problem. Die Arbeit am Flughafen habe sie schon immer fasziniert, sagt die Schülerin des Gymnasiums Vegesack. „Ich habe von klein auf mit Flugzeugen zu tun, weil mein Vater bei Airbus arbeitet. Vermutlich hat seine Begeisterung für die Luftfahrt auf mich abgefärbt.“ Sie könne sich vorstellen, später einmal in der Luft- und Raumfahrt zu arbeiten.
Damit entspricht Amelie genau der Zielgruppe, die der ehemalige Lufthansapilot und Initiator des Projekts, Walter Drasl, ansprechen möchte. Denn was nach einer spannenden, aber einmaligen Ferienbeschäftigung klingt, ist für ihn viel mehr als das. Wenn es nach Drasl geht, dann soll die Sommerakademie nicht nur Spaß machen, sondern auch eine Anregung für die spätere Berufswahl sein. „Im Idealfall hat den Teilnehmern das Programm so gut gefallen, dass sie später einmal in der Luftfahrtbranche arbeiten möchten“, sagt er. Denn der mangelt es an qualifizierten Fachkräften.
„Das muss sich mit Blick auf die Zukunft ändern“, findet Drasl. Um einen Teil dazu beizutragen, hat er die Bremer „Flight Kids“ gegründet. Die Sommerakademie ist dabei nur eine Art Testdurchlauf für den kommenden Herbst. Dann wird es das Programm noch einmal in der langen Version geben: Ab dem 23. Oktober sollen zehn flug- und technikbegeisterte Jugendliche ab zwölf Jahren zwei Mal im Monat für jeweils vier Stunden zusammenkommen, um „weiter in die Tiefe zu gehen“ und Schritt für Schritt alle Facetten der Fliegerei kennenzulernen. Die Dauer des Kurses: drei Jahre.
Die Inhalte, die dabei vermittelt werden, sind breit gefächert: Es wird, sagt Drasl, unter anderem um physikalische Themen wie Auftrieb und Aerodynamik sowie um angewandte Mathematik in Form von Flugplanung und Berechnung der Flughöhe gehen. Auf dem Stundenplan sollen auch Politik und Wirtschaft stehen – etwa Fluglärm und die CO2-Bilanz – und dazu die Gradnetze der Erde sowie die Orientierung auf Karten.
Und die Kids lernen etwas über die Geschichte der Luftfahrt, über die Beschaffenheit von Kerosin und dazu, wie gute Teamarbeit funktioniert. Außerdem sind Besuche bei Airbus, der Flugsicherung, der Pilotenschule der Lufthansa und den Unternehmen in der Bremer Airport-Stadt geplant.
Die erworbenen Kenntnisse sollen den Mädchen und Jungen bei der später eventuell folgenden Bewerbung für einen Studien- oder Ausbildungsplatz Startvorteile verschaffen, sagt Drasl. Ein Vorteil, der mit einem nicht unerheblichen Haken verbunden ist: Pro Person soll die „Flight School“ monatlich 150 Euro kosten. Ein Betrag, den sich viele Familien nicht leisten können.
„Wir wollen vermeiden, dass die Teilnahme am Geld scheitert“, sagt Drasl. Um zu verhindern, dass nur Jugendliche aus gut situierten Familien teilnehmen können, haben mehrere Bremer Unternehmen, die namentlich nicht genannt werden wollen, entschieden, Jugendliche ohne entsprechenden finanziellen Rückhalt mit einem Stipendium zu unterstützen.
Wenn es nach dem Initiator geht, dann könnte sich das Projekt in ein paar Jahren zu einer Art fliegendem Klassenzimmer entwickeln. Die Idee: Bremer Schulklassen kommen in die Räumlichkeiten im Flughafen. Dort setzen sie Aufgaben aus dem Unterricht, etwa aus der Physik oder Mathematik, in die Praxis um. „Vorausgesetzt, das Konzept der Flight School bewährt sich.“ Bisher hätte sich dafür schon eine Handvoll Teilnehmer angemeldet.
Auch Amelie Heidmann denkt darüber nach, den Kurs zu besuchen. Sie will noch viel lernen, sagt sie. Zum Beispiel, wie sich die Landung weniger turbulent gestaltet. Nach sechs Minuten Flugzeit leitet sie gemeinsam mit Co-Pilot Luca den Sinkflug ein, fährt dafür die Landeklappen aus und drosselt die Geschwindigkeit. In der Ferne erscheint erst das Weserstadion, kurz darauf die Landebahn des Bremer Flughafens. Beim Landeanflug wippt die Maschine hin und her. Statt auf der Landebahn kommt der Airbus auf einer Wiese zum Stehen.
Weitere Informationen
Die „Flight School“ startet am 23. Oktober und findet jeden zweiten Mittwoch von 15.30 bis 19.30 Uhr im Bremer Flughafen statt. Das Programm ist auf drei Jahre ausgelegt, die Teilnahme auf zehn Personen begrenzt. Die Voraussetzungen: Interesse an Luftfahrt und ein Mindestalter von zwölf Jahren.