Interview über Euro-Bonds „Das hat eine politische Dimension“

Bastian Becker arbeitet am Socium an der Uni Bremen, welches sich vor allem mit Ungleichheit und Sozialpolitik beschäftigt. Er erklärt im Interview, warum er mit Hunderten Kollegen Euro-Bonds fordert.
30.03.2020, 05:00 Uhr
Lesedauer: 5 Min
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„Das hat eine politische Dimension“
Von Lisa Schröder
Am Donnerstag haben die Staats- und Regierungschef der EU in einer mehrstündigen Videokonferenz miteinander verhandelt. Doch zu einem Ergebnis sind sie nicht gekommen. Das ist vertagt worden. Wie enttäuscht sind Sie über den Aufschub?

Bastian Becker: Leider ist bei den Euro-Bonds oder Corona-Bonds, wie sie nun häufig genannt werden, die Erwartungshaltung relativ niedrig. Dieses Instrument ist schon in der Vergangenheit diskutiert worden. Allerdings besteht nun besonders großer Anlass, das Instrument auch zu nutzen. Insofern ist es schon eine recht große Enttäuschung. Auf der anderen Seite muss man natürlich sehen, dass auf europäischer Ebene deutlich mehr Abstimmungen notwendig sind als auf nationaler Ebene: Die Prozesse sind langsamer. Das Problem ist, dass wir momentan keine Zeit dafür haben.

Sie haben sich einem Aufruf von Hunderten Wissenschaftlern in der „Financial Times“ angeschlossen. Die Forderung darin: „Nun ist die Zeit zu handeln. Nun ist die Zeit der Solidarität. Nun ist die Zeit für Euro-Bonds.“ Warum ist das aus Ihrer Sicht richtig?

Die Grundidee der Bonds ist, dass die europäische Staatengemeinschaft zusammen Anleihen aufnimmt. Es gibt dabei eine wirtschaftliche und eine politische Perspektive. Wirtschaftlich ist der Vorteil, dass diese Bonds verhindern können, dass Länder durch die Corona-Krise in eine sogenannte Schuldenspirale rutschen. Das hätte schließlich auch Auswirkungen auf den gesamten europäischen Wirtschaftsraum. In der Debatte geht dabei oft unter, dass das Ganze aber auch eine politische Dimension hat. Denn Euro-Bonds zeigen, dass auch in der Krise mehr Europa geht.

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Bitte erklären Sie: Wie funktioniert das In­s­trument?

Im Prinzip sind Euro- oder Corona-Bonds Staatsanleihen. Und die funktionieren wie ein Kredit für den Privathaushalt: Man bekommt einen bestimmten Betrag und muss ihn mit Zinsen zurückzahlen. Wenn Nationalstaaten Anleihen aufnehmen, sind die Zinszahlungen teilweise sehr hoch – insbesondere für Staaten, die schon höher verschuldet sind. Wenn jetzt aber die EU solche Anleihen aufnimmt, bekommt sie deutlich bessere Konditionen an den Finanzmärkten, weil es eine gemeinsame Haftung gibt. Die Zinslast ist geringer und damit auch die Gefahr, im Nachhinein in eine Schuldenspirale zu rutschen: Die Staaten sind eher in der Lage, die Kredite zu tilgen.

Wo fürchten Sie derzeit Schuldenspiralen, wenn es keine gemeinsame Lösung gibt?

Sie ist in den Ländern zu befürchten, die bereits höher verschuldet sind wie Italien und Spanien und momentan stark vom Virus betroffen sind. Deutschland hat sicher einen größeren Puffer. Doch hier ist wichtig, zu sagen, dass der gesamte europäische Wirtschaftsraum von der Stabilität der Länder profitiert. Insofern ist es für Deutschland ratsam, nicht nur den eigenen Haushalt im Blick zu haben, sondern den Zusammenhalt und Wohlstand in Europa zu sichern.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hält die Diskussion um die Euro-Bonds für „eine Gespensterdebatte“. Ist diese Ablehnung für Sie zu kurz gedacht?

Ja, definitiv. Weil man sich damit eine Möglichkeit nimmt, die wirtschaftlichen Konsequenzen der Corona-Krise abzufedern.

Im Aufruf heißt es, dass die Krise europäisch ist und einer europäischer Lösung bedarf. Reicht denn zum Beispiel der Rettungsschirm durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) nicht aus?

Ich würde sogar noch weitergehen. Denn es ist eine globale Krise, und wir brauchen globale Lösungen. Die Idee von Corona-Bonds lässt sich also auch über Europa hinaus ausweiten. Zum ESM: Ich denke, wie viele meiner Kollegen, dass das Volumen nicht ausreicht, um den Ländern den Spielraum zu geben, den sie brauchen. Euro-Bonds werden von einer großen Zahl an Wissenschaftlern seit Jahren als ökonomisch sinnvoll erachtet. Und sie würden ein ganz wichtiges politisches Signal senden: für mehr Europa.

Im Aufruf steckt je nach Ausgang eine düstere oder hoffnungsvolle Prognose: Die Krise werde die Eurozone stärken oder brechen. Warum hat sie sogar das Potenzial für einen Bruch?

Die große Gefahr ist, dass wir insgesamt weiter auseinanderdriften. Sichtbar ist das derzeit vor allen Dingen durch die Grenzschließungen. Vor wenigen Wochen wären sie in diesem Ausmaß noch komplett undenkbar gewesen und gehören jetzt zu unserer Realität. Doch in der Krise steckt auch eine Chance, näher zusammenzurücken. Es gibt Parallelen zu unserem Leben: Wir distanzieren uns zwar momentan physisch, aber zugleich solidarisieren wir uns. In Europa kann das ebenfalls passieren: Wir rücken durch die Grenzschließung auseinander. Doch wir sollten Instrumente schaffen, um einander zu helfen. Das ist wichtig, um die europäische Idee aufrecht zu erhalten oder ihr sogar Aufwind zu geben.

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Wie stehen die Chancen, dass das Instrument Euro-Bonds, für das zum Beispiel Frankreich und Italien plädieren, doch noch eine Chance bekommt?

Die Reservationen in Deutschland sind sehr groß, was verschiedene Gründe hat. Ich denke aber, das Potenzial ist größer als jemals zuvor – auch größer als während der Finanzkrise. Vor allem deswegen, weil die Corona-Krise alle Länder gleichermaßen betrifft und das unverschuldet. Deshalb gibt es für den Ansatz, Risiken zu teilen, sowohl in der Politik als auch der Gesellschaft eine wesentlich größere Akzeptanz.

Wenn Sie in die Rolle der Kritiker schlüpfen müssen: Welche Beweggründe gibt es, Euro-Bonds abzulehnen?

Es gibt die Angst, dass Euro-Bonds dazu führen, dass den Ländern der Anreiz genommen wird, ihre Haushalte zu sanieren. Dieses Argument ist aber in dieser Situation schwach. In diesem Fall können die Länder nichts für die Krise. In Deutschland hängt man zudem noch stark an der Idee der Schwarzen Null. Schon seit Jahren wird sie von Ökonomen und Politikwissenschaftlern kritisiert – zu Recht.

In Bremen sind Sie der einzige Wissenschaftler, der sich am Aufruf beteiligt hat. Wie kam es eigentlich dazu?

Ich halte das Instrument prinzipiell für sinnvoll – und besonders jetzt. Darum bin ich dem Aufruf meiner Kollegen, den sie über verschiedene Wege geteilt haben, gefolgt.

Das Gespräch führte Lisa Boekhoff.

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Zur Person

Bastian Becker ist Postdoktorand am Socium der Uni Bremen. Das Forschungszentrum beschäftigt sich vor allem mit Ungleichheit und Sozialpolitik. Becker selbst konzentriert sich auf Ursachen und Konsequenzen von ökonomischer und sozialer Ungleichheit.

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Zur Sache

Zuspruch und Widerstand

Die Debatte um Gemeinschaftsanleihen in Form von Euro- oder Corona-Bonds spaltet die EU. Während etwa Frankreich, Spanien und Italien sie fordern, lehnen Deutschland oder auch die Niederlande das Mittel ab. Viele Ökonomen und Institutionen halten es jedoch ebenfalls für notwendig, dass die Lasten der Krise auf diesem Weg geteilt werden. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äußerte sich zurückhaltend: Die Vorbehalte in Deutschland und anderen Ländern seien berechtigt. Das sorgte für Unmut in Italien. Bremens Europaabgeordneter Joachim Schuster (SPD) hält angesichts von Corona „eine stärkere finanzielle Solidarität in der EU“ für erforderlich. Kurzfristig fordert er Corona-Bonds im Rahmen des europäischen Rettungsschirms ESM, an deren Nutzung keine Austeritätsauflagen geknüpft werden dürften. Zudem müssten bei den Verhandlungen künftiger EU-Haushalte Euro-Bonds vereinbart werden, „die von der EU emittiert werden und über deren Verwendung die EU entscheidet.“

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