Es ist ein Moment in Krisenzeiten. Ein Stück des vertrauten Alltags kehrt plötzlich wieder zurück. Für Piet de Boer von der Bremer Handelskammer gab es diesen Augenblick im Juni. Endlich saß ihm wieder ein Gründer mit seinen Ideen gegenüber, wenn auch mit mehr Abstand. „Das war eine schöne Erfahrung – ein bisschen Normalität“, sagt de Boer. Drei Monate gab es bis dahin kein einziges solches Gespräch für ihn: Corona brachte Lockdown und Homeoffice.
Außerdem ließ das Gründungsinteresse im März und April nach. Es habe kaum Anfragen gegeben. Die Menschen hätten andere Sorgen gehabt. Seit Juni aber läuft die Beratung wieder, und das besser als zuvor – auch durch einen Nachholeffekt. „Die Zahl meiner Gespräche hat sich seither verdoppelt“, sagt der Gründungsexperte. „Das Interesse steigt deutlich. Das ist sehr erfreulich.“ Er wolle zwar nicht von Aufbruch sprechen, aber nun gebe es wieder einen Trend zu mehr Gründerstimmung in Bremen.

Pitch Night oder Start-up-Camp: In diesen Zeiten können Veranstaltungen für Gründer nicht in gewohnter Form stattfinden. Das hat auch Folgen für die Gründerwoche in Bremen diesem Jahr.
Gibt es neue Vorhaben? Zweifel? Oder andere Fragen? Nicht gravierend, sagt de Boer, nur bestimmte Themen sei in der Beratung wegen Corona weniger vertreten. „Ein Café zu gründen, ist immer noch eine zu große Unsicherheit.“ Paketdienstleistungen oder Onlinekonzepte hätten dagegen dazugewonnen.
Mehr Zurückhaltung befürchtet
Im Bremer Starthaus steigt das Gründungsinteresse ebenfalls wieder. Dabei hatten Petra Oetken und ihre Kollegen sogar mehr Zurückhaltung befürchtet, weil Corona eben auch das Risiko einer Selbstständigkeit ganz offensichtlich gezeigt habe. „Wir haben gedacht, das schreckt sehr ab. Das hat sich so nicht bewahrheitet“, sagt die Beraterin der Gründerhilfe. Die Zeiten seien schließlich insgesamt unsicherer – ebenso für Angestellte. Oetken bestätigt aber: Die Nachfrage nach Beratung zur Selbstständigkeit sei im Starthaus verhaltener gewesen. „Die Gründer befanden sich auch in einer Art Schwebezustand, weil sie nicht wussten, wie es weitergeht.“
Und wie erging es denen, die schon vor längerer Zeit gegründet hatten? „Das war ganz vielfältig“, sagt Oetken. Vor allem Start-ups im digitalen Bereich hätten ihr Geschäft fortführen können. Dagegen hätten Jungunternehmer im Tourismusbereich nun überlegen müssen: Wie stelle ich mein Geschäft um?
Starthaus und Handelskammer bieten ihre Hilfe nun zunehmend auch über Telefon und Videokonferenzen an. Gerade erst hat Piet de Boer ein sogenanntes Webinar zur Existenzgründung abgehalten. 30 Teilnehmer im Seminar verfolgten seinen Beitrag im Netz. Im August waren es 40. Das Instrument funktioniere. Was gerade aber fehle, seien Veranstaltungen, um sich auszutauschen. Das sei wichtig für das Gründungsklima in der Stadt.
Das Gründungsgeschehen zu aktivieren, ist sehr wichtig: Gerade in Bremen gingen die Zahlen immer wieder zurück. Im Durchschnitt kamen hier nach Angaben von Statista zwischen 2017 und 2019 auf 10 000 Erwerbsfähige 37 Gründer – ein immenser Einbruch und der letzte Platz im Ländervergleich. Ganz vorne rangierte Berlin mit 198 Gründern, es folgten Brandenburg (155), Hamburg (122), Bayern (121) und Niedersachsen (116).
Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Existenzgründungen in Deutschland mit 605 000 erstmals seit Jahren wieder. Doch Corona könnte diesen Trend schnell wieder beenden. Allerdings steigen die Gründungszahlen, wenn der Arbeitsmarkt sich verschlechtert. Es gründen dann mehr Menschen aus der Not heraus oder weil die Alternativen nicht interessant sind. Piet de Boer hört bereits von Gründern, die nun die Phase der Kurzarbeit genutzt haben, um ihr bereits anvisiertes Gründungsvorhaben vorzubereiten. Darunter gab es Exoten: Gleich im April habe es mehrere Anfragen zu Veranstaltungsagenturen gegeben. „Da habe ich auch gesagt, dass das in dieser Zeit ein doch eher gewagtes Vorhaben sei.“ Die Gründer aber wollten nun neben der Kurzarbeit in Ruhe planen, um zum richtigen Zeitpunkt fertig zu sein. „Da sehen Gründer Möglichkeiten, auf veränderten Märkten eine Chance zu ergreifen.“
Die Bremer Gründungswoche im November dürften ebenfalls digitale Formate prägen. Die persönliche Begegnung fehle damit zwar, räumt Starthelferin Petra Oetken ein. Es ließe sich nicht wie sonst von Veranstaltung zu Veranstaltung durch die Stadt tingeln. Doch vielleicht gebe es sogar mehr Teilnehmer, weil man sich im Netz in Workshops oder Vorträge leichter einwählen könne.