Integration in Bremen Vom Flüchtling zum Malermeister

Saimir Haxhija flüchtete 2015 nach Deutschland – nun macht er seinen Malermeister und könnte in wenigen Jahren seinen Ausbildungsbetrieb übernehmen.
19.09.2020, 05:00 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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Vom Flüchtling zum Malermeister
Von Stefan Lakeband

Es war das Jahr 1949, als Rolf Ringes Vater den Grundstein für seinen Malerbetrieb legte. Das Wirtschaftswunder war noch Jahre entfernt, die Arbeitslosigkeit in der jungen Bundesrepublik hoch. Genau zu dieser Zeit bekam Ringes Vater den Ratschlag: Mach dich selbstständig. Eine Chance, keine Frage. Aber auch ein gewaltiges Risiko. Schließlich konnte da noch niemand ahnen, dass der Malerbetrieb noch heute, 71 Jahre später, besteht. Ringe übernahm ihn 1975 von seinem Vater, ist mittlerweile 72 Jahre alt.

Als 2015 Hunderttausende Menschen aus dem Ausland nach Deutschland kamen, um Schutz vor Krieg und Zerstörung zu suchen, oder einfach nur in der Hoffnung auf ein besseres Leben waren, war auch Saimir Haxhija dabei. 20 Jahre alt, Albaner, und ohne konkrete Vorstellung, wie das Leben in Deutschland ist. „Es hieß nur immer: Deutschland ist ein gutes Land. Da kann man etwas erreichen“, sagt Haxhija. „Das wollte ich ausprobieren.“

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Man kann es Zufall nennen oder von Schicksal sprechen: Jedenfalls kreuzten sich die Wege der beiden im Jahr 2017. Ringe hatte einen Bekannten, der ehrenamtlich in einer Unterkunft für Geflüchtete arbeitete. Der wiederum kannte Claudia Jacob vom Paritätischen Bildungswerk Bremen. Und die hatte kurz zuvor Haxhija kennengelernt.

Jacob hilft Geflüchteten bei der Integration in Deutschland, besonders dann, wenn noch nicht klar ist, ob sie bleiben dürfen. Auch Haxhija war so ein Fall. Sie vermittelte ihn in einen Sprachkurs; acht Monate lernte er fünf Stunden am Tag Deutsch. „Ohne Frau Jacob säße ich heute nicht hier“, sagt Haxhija. Sie war es auch, die dem jungen Mann erklärt hat, welche Möglichkeiten es in Deutschland gibt, was er machen kann und was er dafür machen muss.

Die Handbewegungen studiert

Jacob bringt den Malermeister Ringe und den Geflüchteten Haxhija zusammen, erst mal für ein Praktikum. An seinem ersten Tag sei er nervös gewesen, sagt der 25-Jährige. „Ich wollte nichts Falsches machen, nichts Falsches sagen.“ Er schaute sich genau an, was Rolf Ringe machte, studierte die Handbewegungen und fragte nach.

Vier Wochen sollte das Praktikum gehen. „Nach zwei Wochen war mir klar, dass es mit uns passt“, sagt Ringe. In mehr als 45 Jahren als Maler hat er viele junge Leute begleitet. Nicht nur in seinem eigenen Betrieb, auch als Ausbilder im Kompetenzzentrum Handwerk. Nicht alle seien gut gewesen. Manche hätten den Mund nicht aufbekommen, manche seien schlichtweg faul gewesen. Auch mit Kritik hätte nicht jeder umgehen können. Bei Haxhija sei das anders gewesen. Nach Ende des Praktikums stellt Ringe ihn als Lehrling ein.

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Die Zeit sei lehrreich gewesen. „Einmal musste ich einen Stuhl sieben Mal lackieren, bis Herr Ringe mit dem Ergebnis zufrieden war“, sagt Haxhija. Der habe ihm jedes Mal erklärt, was er falsch gemacht habe – bis er es dann richtig gemacht hatte. „Darum geht es ja. Ich will etwas lernen, eine Sache richtig können. Dafür mache ich ja die Ausbildung.“

Die größte Hürde sei aber nicht das Handwerk selbst gewesen, sondern die Berufsschule. Dort findet der Unterricht auf Deutsch statt. Für jemanden, der erst kurze Zeit in Deutschland ist, kann das schwierig sein. Das sagt auch Haxhija. Die Lehrer seien zwar bemüht und hilfreich gewesen. Dennoch sei ihm klar geworden, dass es ohne gute Sprachkenntnisse nicht geht. „Viele Flüchtlinge machen einen großen Fehler: Sie reden nur bei der Arbeit oder in der Schule Deutsch“, sagt er. In ihrer Freizeit würden sie sich in ihrer Muttersprache unterhalten. „Viele meiner Mitschüler hatten daher Probleme.“ Haxhija ist alleine aus Albanien nach Deutschland gekommen. „Das war im Grunde genommen ein Vorteil“, sagt er. So sei er gezwungen gewesen, Deutsch zu sprechen. Mit Erfolg: Haxhija besteht die Ausbildung – und spricht mittlerweile fließend Deutsch.

43 Prozent der Geflüchteten sind erwerbstätig

„Solche Erfolgsgeschichten gibt es mittlerweile viele“, sagt Claudia Jacobs vom Paritätischen Bildungswerk. Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat vor kurzem eine Zwischenbilanz gezogen. Das Fazit fällt positiv aus. 43 Prozent der Geflüchteten sind mittlerweile erwerbstätig, wie aus einer Umfrage hervorgeht.

In einem anderen Land leben, eine fremde Sprache lernen, eine Ausbildung machen. Der 25-Jährige hat das in wenigen Jahren geschafft. Und damit könnte auch die Geschichte vom Malermeister Ringe und dem Geflüchteten Haxhija, die sich durch Zufall oder Schicksal trafen, zu Ende sein. Ist sie aber nicht.

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Rolf Ringe ist 72, topfit und denkt daran, wie es weitergeht. Mit ihm und mit seinem Unternehmen. Seine beiden Töchter wollen den Betrieb nicht übernehmen. Sein einziger Mitarbeiter, der dafür infrage käme: Saimir Haxhija. Wer jedoch als Maler sein eigenes Unternehmen führen möchte, braucht einen Meisterbrief. Haxhija, im Sommer mit der Ausbildung fertig geworden, hat direkt mit dem Kurs angefangen, berufsbegleitend.

Der Chef wird zum Angestellten

„Unsere Pläne sind konkret“, sagt Ringe. Wenn Haxhija seinen Meisterbrief hat, soll er den Betrieb ohne Kosten von seinem jetzigen Chef übernehmen können. Der wird zum Angestellten und bekommt ganz normal Gehalt. „Meine Kunden kennen Saimir dann schon. Das ist eine große Hilfe“, sagt Ringe. Haxhija sagt: „Wenn ich vor einem Problem stehe, dass ich noch nicht kenne – Herr Ringe kennt es. Und ich kann ihn um Rat fragen.“

Zwei Jahre und viel Arbeit wird er wahrscheinlich brauchen, bis er den Meisterbrief hat und die Firma übernehmen kann. Nach Deutschland kam Haxhija, um etwas zu erreichen. Was, das wusste er noch nicht. „Dass ich mal meinen eigenen Betrieb haben werde“, sagt er, „hätte ich aber nicht gedacht.“

Info

Zur Sache

Förderung für Ausbildung

Unternehmen, die einen Menschen mit Fluchthintergrund als Auszubildenden einstellen möchte, können eventuell eine Förderung dafür bekommen. Diverse Angebote hat etwa die Agentur für Arbeit – sie reichen von einer Einstiegsqualifizierung (EQ) bis hin zu ausbildungsbegleitenden Hilfen und einer sogenannten assistierten Ausbildung. Ansprechpartner ist der Arbeitgeberservice der Agentur für Arbeit.

Welche Möglichkeiten es noch gibt und was es für Betriebe zu beachten gilt, darüber klären auch Handwerks- und Handelskammer auf. Auch das Bremer und Bremerhavener Integrationsnetz Bin berät zu rechtlichen Voraussetzungen und möglichen Hürden. Bin hilft auch Geflüchteten, wenn sie auf der Suche nach einem Sprachkurs oder einem Ausbildungsplatz sind. Weitere Informationen gibt es unter
www.bin-bremen.de.

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