Mehr als 2000 Bremer verloren ihre Jobs Vor 20 Jahren: Vulkan-Werft muss schließen

Am 15. August 1997 endete ein Stück Bremer Geschichte: Die Vulkan-Werft musste schließen. Allein in Bremen verloren über 2000 Menschen ihre Jobs. Eine Geschichte von Größenwahn und Machtbesessenheit.
15.08.2017, 05:12 Uhr
Lesedauer: 3 Min
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Von Helmut Reuter und Lisa Boekhoff

Tränen, Trauer und Verzweiflung: Für die Arbeiter der Bremer Vulkan-Werft war der 15. August 1997 ein pechschwarzer Tag. Fünf Minuten nach 12 Uhr endete für die noch verbliebenen gut 300 Vulkanesen die allerletzte Schicht. Die Helme landeten demonstrativ im Mülleimer. Das letzte Schiff war abgeliefert und mit ihm die Hoffnung gestorben. „Es kommt mir vor wie eine Exekution“, sagte damals ein völlig desillusionierter Werftarbeiter in die Kameras. Über 100 Jahre Firmen- und Schiffbaugeschichte gingen im Bremer Norden zu Ende.

An dem Sommertag vor 20 Jahren herrschte Resignation vor. Es gab kein Aufbäumen mehr, kein Fäusteschütteln. „Das Schiff war schon untergegangen. Der Tag der Torschließung war der traurige Schlusspunkt und, auch wenn’s zynisch klingt, schon fast business as usual“, erinnert sich der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel. „Das große Drama hatte es schon ein Jahr zuvor bei der Insolvenz im Februar 1996 gegeben. Das war ein unglaublicher Schock.“

9000 Menschen verloren ihre Jobs

Mit Vulkan brach der größte deutsche Werftenverbund zusammen. Von Bremen bis Schwerin standen Wirtschaftspolitiker vor einem Scherbenhaufen. Damals hatte der Verbund 23.000 Beschäftigte in West- und Ostdeutschland. 9000 verloren ihre Jobs, davon mehr als 2000 in Bremen. „Wenn eine Stadt wie Bremen, die von der Schifffahrt lebt, die Hafenstadt ist und ihre Existenzberechtigung aus der Schifffahrt holt, wenn die ihre beiden Großwerften verliert, dann ist das natürlich eine Riesenkatastrophe“, sagt der frühere Bremer Bürgermeister Henning Scherf (SPD) im Rückblick.

Der Sozialdemokrat war gerade ein Jahr im Amt, als Vulkan 1996 Vergleich anmeldete. „Wir hatten ja das Ganze mit der AG Weser schon davor erlebt. Gut zehn Jahre vorher ist die AG Weser pleitegegangen, unsere andere Großwerft. Dass jetzt nun auch der Vulkan pleiteging, das konnten wir eigentlich überhaupt nicht begreifen“, schildert Scherf die damalige Fassungslosigkeit.

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Vulkan übernahm fast die gesamte ostdeutsche Werftindustrie

Mit dem SPD-Wirtschaftsstaatsrat Friedrich Hennemann war 1987 ein senatstreuer Beamter an die Konzernspitze berufen worden. „Wir stehen vor einem ozeanischen Jahrhundert“, orakelte Hennemann damals. Er wollte den Vulkan zu einem globalen maritimen Technologiekonzern ausbauen. Auf seiner Einkaufsliste standen Werften in Bremerhaven und Wilhelmshaven, die Maschinenfabrik Dörries Scharmann in Mönchengladbach, der Marine-Elektronikspezialist Krupp Atlas und andere Firmen. 1992 folgt ein umstrittener Coup: Nach dem Fall der Mauer übernahm der Vulkan mit den Werften in Wismar, Stralsund und dem Dieselmotorenwerk Rostock fast die gesamte ostdeutsche Werftindustrie.

Hennemann habe Betriebe aufgekauft, die selber pleitegegangen waren, und sie richtig groß machen wollen, erinnert sich Scherf. „Seine Idee: Ich muss die Werft so groß machen, dass die Politik mich, wenn ich nicht mehr weiterkann, rettet. Das war Spekulation auf Steuergelder.“

Der Crash kam wenige Jahre später

Der Anfang vom Ende begann 1995: Nach Liquiditätsproblemen trat Hennemann auf Druck der Banken zurück, am 21. Februar 1996 folgte der Vergleichsantrag, am 1. Mai der Anschlusskonkurs. Danach begann das große Aufräumen. Untersuchungsausschüsse in Bonn, Bremen und Schwerin stellten später fest: Subventionsmentalität, ein unüberschaubares Geflecht von Beteiligungen und mangelhafte Kontrolle hätten zum absehbaren Crash geführt.

Die Treuhandnachfolgerin BVS stellte Strafanzeige gegen den früheren Vulkan-Vorstand wegen zweckwidriger Verwendung von Beihilfen in Höhe von etwa 220 Millionen Euro. EU-Fördergelder für Ost-Werften sollen in maroden West-Firmen des Verbundes versickert sein. „Das Geld ist weg“, konstatierte Konkursverwalter Jobst Wellensiek lakonisch.

"Der Absturz des Bremer Vulkan ist ein Lehrstück"

Rudolf Hickel sieht ein ganzes Bündel von Ursachen für das historische Scheitern: „Größenwahn, Machtbesessenheit, politische Ergebenheit, mangelnde kritische Kontrolle auch durch die Aufsichtsräte, ein Betriebsrat als Hennemann'scher Erfüllungsgehilfe zusammen mit viel Naivität, Opportunismus, Korpsgeist, falschen Loyalitäten und gefährlichem Bremen-Patriotismus.“ Das Unternehmen habe zudem nicht rechtzeitig erkannt, dass der Containerschiffbau in Deutschland keine Chance mehr hatte. Hickel erinnert sich nicht nur an den Aufstieg und Absturz der Werft, sondern auch an die Ablehnung des Senats, die er wegen seiner Kommentare zum Vulkan damals erfahren habe. Kritische Äußerungen galten in dieser Zeit nach Hickel als politische Nestbeschmutzung.

Die Bremer Politik habe Hennemann dagegen völlig unkritisch unterstützt, sagt Hickel. In einem persönlichen Gespräch habe er Klaus Wedemeier (SPD), vor Scherf im Amt des Bürgermeisters, bereits vor Hennemanns „waghalsiger Expansionsstrategie“ gewarnt. „Der Absturz des Bremer Vulkan ist ein Lehrstück für das komplette Versagen eines viel zu schnell gewachsenen Unternehmens ohne ausreichende interne und externe Kontrollen. Es war nicht nur das Versagen der 'Nieten in Nadelstreifen' in der Vorstandsetage.“

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