Paula ist zwei Jahre alt. Sie versteht nicht so recht, warum sie mit ihren Eltern und ihren zwei Brüdern am Bremer Flughafen ist und es irgendwie nicht weitergeht. Eigentlich wollte Familie Kastner aus Syke am Dienstag mit Eurowings von Bremen nach Mallorca. Nun sitzt Florian Kastner mit Tochter Paula am Ende der Schlange auf dem Boden und wartet auf weitere Informationen. Er und seine Frau fragen sich, warum die Airline nicht schon eher etwas organisiert hat. Schließlich sei der Streik schon am Vorabend bekannt gewesen: „Die Geschäftsreisenden, die mit Lufthansa nach Frankfurt fliegen wollten, sind schon längst dort. Denn die wurden schon Montagabend informiert und konnten sich per Zug eine Alternative suchen.“
800 Lufthansa-Flüge gestrichen
Während sie das sagen, ertönt die Durchsage: „Flugpassagiere, die bereits im Besitz eines Bordtickets sind, begeben sich bitte zu den Sicherheitskontrollen.“ Glücklich wären an diesem Morgen alle, die mit ihrem Ticket in die Maschine einsteigen könnten. Die automatischen Ansagen erwecken den Eindruck, es handle sich um einen normalen Dienstagmorgen am Flughafen Bremen. Doch so ist es nicht. Wegen des Warnstreiks im öffentlichen Dienst hat die Lufthansa vorsorglich alle Flüge von und nach Bremen gestrichen. Nicht nur in der Hansestadt, auch in Frankfurt, München und Köln kommt es zu Streiks. Deutschlandweit fallen alleine rund 800 Lufthansa-Flüge aus.
Die Brüder Nabil und Mehdi Selatnia erwischt es kalt. Sie sind aus Oldenburg nach Bremen gekommen und wollten mit Air France nach Paris und von dort weiter in ihre Heimat Algerien. Nabil Selatnia ärgert sich: „Ich muss zurück, ich muss morgen arbeiten. Warum hat uns die Airline nicht informiert?“ Den Streik stellen sie jedoch nicht infrage. Insgesamt stehen gut 100 Menschen in der Schlange vor dem Schalter von Air France und KLM. Zu ihnen gehört Sven Hagedorn aus Bremerhaven. Er hat eine SMS erhalten, jedoch erst um 8.07 Uhr: „Um 7.30 Uhr habe ich noch auf die Internetseite geschaut. Da stand, dass der Flug stattfinden würde.“ Als die SMS kam, war er bereits auf dem Weg nach Bremen.
Damit hat der Warnstreik der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi seine volle Wirkung gezeigt. Insgesamt traten 60 Mitarbeiter in den Ausstand. Dass am Morgen nichts mehr ging, lag aber vor allem an der Flughafenfeuerwehr. Die hatte sich ab 7.30 Uhr am Streik beteiligt. In einer Schicht befinden sich elf Mann. Und wenn die Flughafenfeuerwehr streikt, ist die Sicherheit nicht mehr gewährleistet – der Flugbetrieb muss eingestellt werden.
Bereits seit vier Uhr morgens haben die Ersten gestreikt. Ab halb acht waren dann die Mitarbeiter der Flughafen Bremen GmbH zum Warnstreik aufgerufen sowie die Kollegen der Bremen Airport Handling. „Die wurden letztes Jahr aus der Flughafen Bremen GmbH ausgegliedert“, sagt Vera Visser, Verdi-Fachbereichsleiterin Verkehr für Bremen und Nordniedersachsen. Mit den Kollegen steht sie neben Tor 1. Aus der Lautsprecherbox wummert Musik. Es gibt kühle alkoholfreie Getränke. Schließlich hält sie eine kleine Rede, sagt, dass sich der Streik gelohnt habe. Am Sonntag treffen sich die Tarifpartner in Potsdam am Verhandlungstisch zur nächsten Runde.
Verdi fordert für die bundesweit 2,3 Millionen Angestellten im öffentlichen Dienst unter anderem eine Erhöhung der Tabellenentgelte um sechs Prozent, mindestens jedoch um 200 Euro. Für Krankenhäuser verlangt die Gewerkschaft die Anhebung des Nachtarbeitszuschlags auf 20 Prozent. Azubis und Praktikanten sollen 100 Euro mehr erhalten. Für den neuen Tarifvertrag strebt Verdi eine Laufzeit von zwölf Monaten an.
Während die Gewerkschafter am Flughafen beim Streikzelt sind, laufen plötzlich mehr als 100 Passagiere vorbei – darunter auch Familie Kastner aus Syke. Sie gehen zum Busparkplatz. Von dort werden sie nach Hannover gebracht, um doch noch mit Eurowings nach Mallorca zu starten. Um elf Uhr nehmen die Streikenden ihre Arbeit wieder auf. Doch fast alle Lufthansa-Flüge bleiben gestrichen. Lufthansa-Sprecher Michael Lamberty nennt die Gründe: „Die Mehrheit der Passagiere hat sich bereits darauf eingestellt, dass die Flüge nicht stattfinden. Da würde es nicht so viel bringen, kurzfristig doch wieder Flüge starten zu lassen. Das zeigt uns unsere Streikerfahrung aus der Vergangenheit. Außerdem haben wir Crews und Maschinen an allen Standorten so, dass wir Mittwoch den Flugbetrieb normal wieder aufnehmen können.“
Am Abend fliegt Turkish Airlines noch nach Istanbul, Air France nach Paris und KLM nach Amsterdam. Bei Ryanair sind am Morgen die Flüge nach Lissabon und nach Málaga ausgefallen. Davon betroffen war auch der Spanisch-Grundkurs der zehnten und elften Klasse vom Alten Gymnasium Bremen. 45 Schüler wollten mit ihren zwei Lehrern eigentlich für eine Woche auf Sprachreise nach Andalusien fliegen. Ryanair will bisher lediglich den Preis für die Tickets erstatten. Luiz Kähler (16) und seine Mitschüler hoffen, dass sie doch noch irgendwie nach Spanien kommen.
Viele Airlines stehen auf dem Standpunkt, dass Streik höhere Gewalt sei und sie deshalb nicht für Ersatz oder Entschädigung aufkommen müssen. Das sieht die Bremer Verbraucherzentrale anders: Wird ein Flug annulliert, haben die Kunden das Recht auf eine anderweitige Beförderung – etwa durch Umbuchung auf einen anderen Flug oder die Beförderung per Bahn. Selbst wenn die Fluggesellschaft kein Verschulden trifft, muss sie sich um die Probleme der Fluggäste kümmern. Im Fall eines Streiks sollten Passagiere vor Ort nach einem alternativen Beförderungsangebot fragen. Die Verbraucherzentrale rät jedoch, nicht vorschnell selbst Tickets zu kaufen. Denn es ist nicht sicher, ob die Gesellschaft die Kosten erstattet. Ansonsten will der Flughafen Bremen beim nächsten Streik dafür sorgen, dass die automatischen Ansagen abgestellt sind.