Schulden gibt es laut dem britischen Wirtschaftsprofessor David Graeber schon bedeutend länger als Münzgeld. In welches Jahrhundert Bremens erste Staatsschulden datieren, ist indessen nicht bekannt. Es gibt vereinzelte Erkenntnisse, so über Bremens Schulden Anfang des 19. Jahrhunderts für den Sold einquartierter französischer Truppen. Eines der ältesten Dokumente, das im Staatsarchiv zu dem Thema verwahrt wird, ist die vergleichende Arbeit „Die Finanzwirtschaft der Hansestädte“.
Sie diente der Bremerin Friedel Harms in den 1930er-Jahren zur „Erlangung der Würde eines Doktor der Staatswissenschaften“. Pro Kopf bilanziert sie für Bremen im Jahr 1914 eine Verschuldung in Höhe von rund 1000 Reichsmark, die bis 1931 auf 574 Reichsmark gesunken sei. Dennoch ist der Schuldenstand unter den Hansestädten (Hamburg, Bremen und Lübeck) in Bremen am höchsten.
Aus dem Jahr 1906 stammt der älteste Haushaltsplan, der im Finanzressort gehütet wird. Der Staatshaushalt wird mit 32 318 204 Mark Einnahmen und Ausgaben veranschlagt. Auf Einnahmeseite wird unter anderem Schulgeld bilanziert, auf Ausgabeseite beispielsweise „Belohnungen für Beamte“ in Höhe von 5000 Mark und 1400 Mark für die Bürgerschaftswahlen.
Henning Lühr ist derzeit der dienstälteste Mitarbeiter des Finanzressorts. Er begann dort in den 1980er-Jahren zu arbeiten, seit 14 Jahren ist er Staatsrat. Nach Bremen kam Lühr in den 1970er-Jahren, als Jura-Student. Er habe Bremen von Beginn an als eine Stadt kennengelernt, „in der immer darum gerungen wurde, welches die richtigen Prioritäten sind“. Für alle Wünsche reichte das Geld nie.
Bis Anfang der 1970er-Jahre gehörte Bremen zu den Geberländern im Länderfinanzausgleich, die Arbeitslosigkeit war niedrig, die Steuereinnahmen waren hoch. Doch nach und nach erreichten die Zins-Steuer-Quote, das Verhältnis von Zinszahlungen zu Steuereinnahmen, und die Kreditfinanzierungsquote, die Relation der Nettokreditaufnahme zu den Gesamtausgaben, dramatische Werte.
Schuldenschub in den 1980er-Jahren
Rudolf Hickel kam 1973 nach Bremen, „da ging es dem Land noch gut“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler. „Ende der 1970er-Jahre wurde Bremen zu einem Haushaltsnotlageland, der Schuldenschub kam in den 1980er-Jahren“. Damit hätten auch Spardiskussionen in der Stadt eingesetzt, beispielsweise an der Uni, aus deren Finanzierung sich die anderen Bundesländer verabschiedet hatten.
Spätestens da sei jedem Bremer klar geworden, dass das Land in einer finanziellen Krise steckte, die sich von Jahr zu Jahr vergrößerte. Dreierlei macht Hickel für den finanziellen Niedergang verantwortlich: Die Werften- und Wirtschaftskrise, den Anstieg der Arbeitslosigkeit und das staatliche Gegensteuern durch eine Einstellungswelle im Öffentlichen Dienst sowie die Einwohnerwanderung in den Speckgürtel.
„Mit heißem Herzen in die Pleite“ nennt das Günter Dannemann und meint damit den gleichzeitigen Bau von Sozialwohnungen, „der wie ein Schwamm wirkte“. Dannemann war von 1994 bis 2003 Finanzstaatsrat und anschließend Leiter der Forschungsstelle Finanzpolitik an der Uni Bremen.

Der älteste Haushalt, der noch im Finanzressort vorhanden ist.
Er hat Zitate aus Haushaltsreden gesammelt, unter anderem zur Schuldenpolitik, wie folgende Sätze von Henning Scherf, Finanzsenator von 1978 bis 1979: „Es gibt keinen für jede Situation oder jedes Land gleichen Maßstab für eine maximale Höhe des Schuldenstandes. Es gibt weiterhin keine absolute oder relative Grenze für die jährliche Neuverschuldung.“ Und so wurde verfahren – die Schulden wuchsen.
In Statistiken könne man gut ablesen, wie sich das Wirtschaftswachstum und die Steuereinnahmen voneinander trennten, sagt Hickel. „Bis dahin war das eine Phase der finanzpolitischen Glückseligkeit, dann begann die Phase des Elends. Das Wachstum hat sich für Bremen quasi nicht mehr gelohnt, in Form von Steuereinnahmen“.
1986 wurde erstmals vor dem Bundesverfassungsgericht die Gerechtigkeit des Länderfinanzausgleichs infrage gestellt. Fünf Bundesländer bemühten das Gericht, und die „Zeit“ berichtete: „Rund 1500 Seiten Schriftsätze, Gutachten und Erklärungen gibt es schon, noch bevor dieser Prozess begonnen hat. Die Creme der deutschen Staats- und Finanzrechts-Professoren hat sich an die Auslegung des Grundgesetz Artikels 107 gemacht, der dem Finanzausgleich zugrunde liegt.“ Bremen triumphierte und bekam fortan Hilfe in Form von Bundesergänzungszuweisungen.
"Ein strammer Sparkurs soll die Eigenständigkeit erhalten"
Die jüngste Geschichte ist bekannt: Vor dem Bundesverfassungsgericht wurde Bremen 1992 attestiert, quasi unverschuldet in eine extreme Haushaltsnotlage geraten zu sein. Das Land bekam vor 25 Jahren Sanierungshilfen zugesprochen, die „Zeit“ stellte fest: „Ein strammer Sparkurs soll die Eigenständigkeit erhalten.“ Von 1994 bis 2004 flossen 8,5 Milliarden Euro nach Bremen.
Die Schulden stiegen in diesem Zeitraum dennoch um mehr als zwei Milliarden Euro. Es sei nicht fair, findet Günter Dannemann, die Umstände der Sanierungsanstrengungen von damals mit denen von heute zu vergleichen.
Ein Blick auf die Statistik beweise: Damals hätten die Ausgangsrechnungen des Bundesministeriums für Finanzen der Realität nicht standhalten können. Die Steuereinnahmen seien – im Gegensatz zu den vergangenen Jahren – nicht angestiegen wie vermutet. Die Zinsen seien gestiegen und hätten nicht – wie heute – auf einem historischen Tief verharrt.
Eine Randbemerkung in der Historie der bremischen Finanzen verdient auch der sogenannte Kanzlerbrief. Ein Versprechen vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder im Jahr 2000, als Ausgleich für mögliche Nachteile aus der Steuerreform, das in Augen der Großkoalitionäre 500 Millionen Euro wert war, die später abgeschrieben werden mussten.
Seit 2011 bekommt Bremen Konsolidierungshilfen in Höhe von rund 300 Millionen Euro, die in die Tilgung fließen müssen. Das Land muss sich vom Stabilitätsrat in den Etat schauen lassen und von 2020 an die Schuldenbremse einhalten. Die Hilfen laufen mit dem Jahr 2019 aus, dann greift der neue Finanzausgleich, nach dem Bremen laut Hickel pro Jahr mit rund 420 Millionen Euro rechnen kann.
Im Laufe der Jahre mussten sich bremische Haushaltsexperten allerhand Frotzeleien von Amtskollegen gefallen lassen. Lühr erinnert sich: Berlins einstiger Finanzsenator Thilo Sarrazin habe ihm am Rande einer Finanzministerkonferenz einmal gesagt, er möge noch zwei belegte Brötchen mitnehmen, zu Hause in Bremen bekomme er schließlich nicht viel.
Bei solchen Scherzen kann Lühr mitlachen. Dass Bremen jedoch als ewiger Bittsteller angesehen werde, als Land, das niemals auf einen grünen Zweig komme, ärgere ihn, sagt er, und sei falsch. „Wir berappeln uns gerade wieder.“