Zum 75. Geburtstag nutzen wir die Gelegenheit, die Seiten zu tauschen: Diejenigen, die wir normalerweise interviewen, dürfen nun uns die Fragen stellen.
Meinen Sie, dass die Corona-Krise zu den schwersten Zeiten des WESER-KURIER in seiner 75-jährigen Geschichte gehört?
Silke Hellwig: Wirtschaftlich ist die Pandemie für uns tatsächlich schwierig, ähnlich wie während der Finanzkrise ist das Anzeigenaufkommen geschrumpft. Journalistisch erfahren die Tageszeitungen derzeit aber eine hohe Wertschätzung, weil sie als verlässlich und ihre Inhalte als glaubwürdig wahrgenommen werden. Das ist einerseits großartig, andererseits gibt es uns auch ein wenig zu denken: Warum wird Qualitätsjournalismus sonst nicht so geschätzt wie zurzeit?

Zeitungen sind sogenannte Tendenzbetriebe, sie können also eine bestimmte politische Richtung haben. Der WESER-KURIER hatte mit seinem Gründer Hans Hackmack klare Prinzipien. Gelten sie bis heute oder hat sich etwas verändert, was die Haltung der Zeitung betrifft?
Der Grundsatz der Unabhängigkeit und Überparteilichkeit ist unumstößlich. Auch meinungsbildend und demokratiestärkend zu wirken, gehört zu unserer DNA. Hans Hackmack war Sozialdemokrat, Mitglied der Bremischen Bürgerschaft und Chefredakteur. Eine solche Konstellation wäre heute eher ungewöhnlich. Meine persönliche Meinung ist, dass Redakteure nicht in Parteien gehören. Sie machen sich damit angreifbar.
Die Presselandschaft in Bremen hat an Vielfalt verloren. Es gibt eine gewisse Konzentrationstendenz oder wie sehen Sie das?
Das stimmt. Aber für uns gibt es in Bremen einen sehr starken Mitbewerber: den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, gegenüber dem wir uns – was die Verschriftlichung von Nachrichten betrifft – manchmal benachteiligt fühlen. Wir müssen jeden Abonnenten jeden Tag aufs Neue von unserer Qualität überzeugen, Radio Bremen kann sich auf die Gebühren verlassen, so oder so.
Es gibt Überlegungen, private Zeitungsverlage staatlich zu unterstützen. Wie stehen Sie dazu?
Grundsätzlich halte ich es für wichtig, Leser auf dem platten Land nicht von Informationen abzuschneiden, weil die Zustellung für Verlage schwieriger wird. Man kann Lesern nicht sagen: Dann lesen Sie gefälligst das E-Paper, informieren Sie sich online oder nehmen Sie mit elektronischen Medien vorlieb, die meist nur über das Dorf berichten, wenn das Rathaus abbrennt. Das würde die Medienvielfalt weiter einschränken. Insofern kann ich den Vorstoß nur begrüßen. Aber welchen Preis müssen die Verlage dafür zahlen? Kann daraus eine fatale Abhängigkeit entstehen, die in politischer Einflussnahme endet?

Wird es immer eine gedruckte Zeitung geben?
Ich denke schon. Das gedruckte Buch wurde mit der Verbreitung von E-Book-Readern totgesagt, lebt aber munter weiter. Es gibt Menschen, die wollen eine Zeitung in der Hand halten, das Rätsel mit dem Kugelschreiber ausfüllen, sich Seiten aus der Ausgabe nehmen und aufheben. Ihre Zahl wird abnehmen, es wird irgendwann Luxus oder Liebhaberei sein, sich die gedruckte Zeitung nach Hause liefern zu lassen. Aber das wird noch eine ganze Weile dauern. Die Zeitungsverlage verstehen sich aber auch nicht als Verkäufer von Papier, sondern von verlässlichen, bürgernahen, in unserem Fall regionalen Informationen, auf welchem Wege auch immer sie zu den Kunden kommen.
Was macht Ihrer Meinung nach gute Regionalberichterstattung aus?
Sie muss relevant, gut recherchiert, gut und verständlich aufgeschrieben und abwechslungsreich sein. Sie muss nah an den Menschen der Region sein, ihnen Orientierung, Information und Service bieten. Gute Regionalberichterstattung wartet nicht auf Pressemitteilungen und -konferenzen, sondern stellt selbst Fragen und sucht nach Antworten. Sie blickt hinter die Kulissen, vertieft Themen, guckt der Politik auf die Finger.
Sind Journalisten der natürliche Feind von Politikern und umgekehrt oder handelt es sich um eine symbiotische Beziehung?
Symbiotisch darf die Beziehung nicht sein. Wir sind schließlich Kontrolleure der Politik. Dass man seine Gedanken zu gewissen Themen austauscht, liegt in der Natur der Sache. Ich glaube, dass sich Journalisten vornehm zurückhalten sollten, wenn sie um Rat gefragt werden. Das beißt sich mit ihrer Rolle. Politiker und Journalisten kooperieren nicht, sondern sie betätigen sich auf demselben Feld. Der Umgang sollte fair und respektvoll sein. Es gibt langjährige Vertrauensverhältnisse, Journalisten werden mit Hintergrundinformationen versorgt, um Entscheidungen besser einordnen zu können. Aber die kritische Distanz muss da sein. Der Grat ist schmal, aber man kann auf ihm balancieren.
Wem fühlt sich der WESER-KURIER verpflichtet? Dem Wohl Bremens, der Auflage, den Leserinnen und Lesern?
Den Leserinnen und Lesern.
Auch dem Wohl Bremens?
Was ist das Wohl Bremens? Dient es dem Wohl Bremens, unbequeme Wahrheiten für sich zu behalten? Dann dienen wir ihm nicht immer. Aber wir sind Lokalpatrioten.
Ist das so?
Bezweifeln Sie das? Wir sind Beobachter, keine Akteure. Wir sind dazu da, den Finger auf die Wunde zu legen, aber wir sind bereit, Erfolge anzuerkennen.
Ich glaube, dass eine Analyse zeigen würde, dass der WK anders zu seiner Stadt steht als das „Hamburger Abendblatt“ oder der „Kölner Stadtanzeiger“. Da ist er sozusagen bremisch-hanseatisch, die höchste Form des Lobes ist also: Da kann man nicht meckern.
Das ist zwar etwas überspitzt, aber damit kann ich eigentlich ganz gut leben. Sie hoffentlich auch.
Das Gespräch führte Andreas Bovenschulte.
Andreas Bovenschulte
ist seit Mitte August 2019 Präsident des Senats. Zuvor war er für wenige Wochen SPD-Fraktionschef in der Bremischen Bürgerschaft, davor
Bürgermeister im niedersächsischen Weyhe.
Silke Hellwig
ist seit 2011 Chefredakteurin, zuvor war sie bei Radio Bremen tätig.
Das Volontariat absolvierte sie bei der „Hessisch-Niedersächsischen
Allgemeinen“.
Weitere Informationen
Dieser Artikel ist Teil der Sonderveröffentlichung zum 75. Geburtstag des WESER-KURIER. Am 19. September 1945 erschien die erste Ausgabe unserer Zeitung. Anlässlich des Jubiläums blicken wir zurück auf die vergangenen Jahrzehnte: Erinnern uns an die Anfänge unserer Zeitung und auch an die ein oder andere Panne. Und wir schauen nach vorn: Wie werden Künstliche Intelligenz und der Einsatz von Algorithmen den Journalismus verändern? Natürlich denken wir auch an Sie, unsere Leser und Nutzer. Wer folgt unseren Social-Media-Kanälen, wer liest unsere Zeitung? Was ist aus den Menschen geworden, über die wir in den vergangenen Jahren berichtet haben? Und wie läuft er eigentlich ab, so ein Tag beim WESER-KURIER?
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