Mütze, Schal, Stiefel – Amalie Lohmann ist gegen den Winterwind gerüstet. Ihre Zöglinge hingegen stehen nicht nur in der Kälte, jetzt rückt ihnen auch noch das Messer zu Leibe. Ein geübter Schnitt, und eines der beliebtesten Wintergemüse Norddeutschlands wandert in einen Plastikkorb. Es ist Anfang Dezember, Grünkohlzeit.
Lohmann, 38, ist Biobäuerin. Sie lässt den Blick über das zwei Hektar große Feld schweifen, auf dem sich die Erntehelfer gerade durch die Reihen arbeiten. 1300 Einwohner, aber acht Biolandbetriebe: Felder gibt es viele hier in Westen, dem Ortsteil der Gemeinde Dörverden. Lohmanns Erntehelfer sind gut gelaunt – und schnell. Nach kurzer Zeit sind sie 50 Meter enteilt, immer begleitet von einem Traktor mit Anhänger. Die Ladefläche füllt sich mit den grünen Körben. „Grünkohl ist ein ziemlich pflegeleichtes Gemüse“, sagt sie. „Die Kisten gehen so raus. Da wird nichts gewaschen oder nachbearbeitet.“ Schon am nächsten Tag soll die Ernte in den Verkauf kommen. Drei verschiedene Sorten baut Lohmann auf dem Feld an. Nein, geschmacklich lasse sich wahrscheinlich kein Unterschied erkennen. Ihr Stichwort lautet dennoch: Diversität. „Die Sorten reagieren unterschiedlich auf äußere Einflüsse. Wenn es einen Ausfall gibt, ist nicht die ganze Ernte dahin.“
Der Grünkohl mag ein unkompliziertes Gemüse sein – der nachhaltige Anbau ist ein etwas komplexeres Thema. Lohmann erklärt ausführlich, wiederholt die Fachbegriffe. Im Wesentlichen gehe es darum, einen möglichst geschlossenen Kreislauf zu schaffen. Der Weg dahin: die Fruchtfolge. Wo jetzt der Grünkohl wächst, wird in den kommenden Jahren ein anderes Gemüse angebaut. „Wir werden trotzdem Grünkohl pflanzen, aber dann auf anderen Feldern“, sagt sie. Praktische Erfahrungen hat die Bäuerin seit ihrer Kindheit gesammelt, dazu eine Ausbildung zur Landwirtin gemacht, ein Studium gleich hinterher, Ökolandbau und Vermarktung in Brandenburg. Vor fünf Jahren hat sie dann den Hof von ihren Eltern übernommen.
„Wir probieren viel aus“, sagt Lohmann. „Auch beim Grünkohlanbau.“ In diesem Jahr sieht die Ernte gut aus. Kaum Ausfälle, die Pflanzen sind gut gewachsen. Die Voraussetzungen seien ein guter Boden, plus der Verzicht auf chemische Düngemittel und Pestizide. Anstelle dessen nutzt sie Leguminosen, Hülsenfrüchte wie Erbsen, Lupinen, Wicken oder Klee. „Die werden nach der Ernte ausgesät, weil sie die Bodenqualität verbessern.“ Leguminosen binden Stickstoff – die Grundlage für einen ertragreichen Boden. Lohmann zeigt auf ein angrenzendes Feld, mit Hülsenfrüchten bepflanzt. „Im kommenden Jahr sollen hier Kürbisse wachsen.“
Der Mythos vom Frostgemüse
Auf dem Grünkohlfeld in Westen wurden die Pflanzen erst im August eingesetzt, im Oktober begann bereits die Ernte. „Die Sorten wachsen sehr schnell“, erläutert sie – und räumt mit einem Mythos auf: Grünkohl als Frostgemüse? Klar, der Kohl brauche es kalt. Aber fünf Grad reichten vollkommen. Vorsichtig gefragt, ob der frische Grünkohl wirklich besser schmeckt als der aus der Dose? Lohmann lacht. „Tja“, sagt sie. „Wenn der Kohl eingekocht wird, schmeckt man vielleicht wirklich nicht mehr den großen Unterschied. Aber es gibt ja noch viele andere Zubereitungsarten.“ Grünkohl lasse sich gut blanchieren, als Salat anrichten oder scharf in der Pfanne anbraten. Auch als Smoothie sei Grünkohl mittlerweile ziemlich beliebt, da einfach anzurichten. „Porree zum Beispiel ist deutlich aufwendiger in der Nachbereitung.“
Die Erntehelfer sind für heute durch mit dem Grünkohl, kümmern sich später noch um das andere Wintergemüse. Lohmann ist indes schon wieder auf dem Sprung, fährt zügig über die Feldwege, der Ernte hinterher. In einer Halle auf dem heimischen Hof wiegt sie die Ausbeute. Etwa drei Kilogramm sollen in jede Kiste – „das war’s eigentlich auch schon“. Verkauft wird der Grünkohl im eigenen Hofladen, auf den Wochenmärkten und zunehmend über das Gemüseabo – die Lieferung bis vor die Haustür.