Zum 75. Geburtstag nutzen wir die Gelegenheit, die Seiten zu tauschen: Diejenigen, die wir normalerweise interviewen, dürfen nun uns die Fragen stellen.
Frank Diegel: Wie flexibel muss die Software in einem Zeitungshaus sein?
Christian Wagner: Wie flexibel und belastbar die IT insgesamt ist, das hat sich besonders in den vergangenen Monaten gezeigt. Wie in vielen anderen Unternehmen wurde aufgrund der Corona-Pandemie zum Großteil von Zuhause aus gearbeitet. Das hat gut funktioniert, es gab keine Produktionsausfälle. Und so wie wir jetzt virtuell miteinander reden, finden auch unsere täglichen Konferenzen am Bildschirm statt. Der Unterschied zu IT in vielen anderen Unternehmen ist aber, dass wir Echtzeit-IT benötigen. Wir haben jeden Tag einen zeitlichen Druck. Würde die IT abends für ein paar Stunden ausfallen, könnte das bedeuten, dass die gedruckte Zeitung im schlimmsten Fall am nächsten Tag nicht erscheint. Und diese Ausgabe kann ich nicht nachholen. Andere Unternehmen können dagegen einen Produktionsausfall etwa durch Überstunden kompensieren.

Diegel : Bei uns ist es ähnlich. Bei einem Teil unserer Softwareprodukte arbeiten wir mit Echtzeitsystemen etwa im maritimen Bereich. So setzen die 900 See- und Hafenlotsen in Deutschland Software von uns ein, die 24/7 das ganze Jahr über funktionieren muss. Und gibt es da doch mal Störungen, hilft nur eins: Sie müssen umgehend flexibel gelöst werden. Prallen bei der Umsetzung von Digitalisierung nicht zwei Welten aufeinander, wenn IT-Leute auf Redakteure zugehen, die neuen Arbeitsweisen vorstellen und sich alles sowieso in einer digitalen Disruption abspielt? Wie schwierig ist es, den altgedienten Mitarbeitern zu vermitteln, was digital eigentlich bedeutet?
Wagner: In meiner Person ist dieser Wandel in unserem Haus ein stückweit versinnbildlicht. Ich komme ursprünglich aus der Redaktion, also der herstellenden Abteilung, die sich hier und da mit technischen Innovationen manchmal etwas schwergetan hat und tut. Dann bin ich in die IT gewechselt, lange bevor die Digitalisierung aufkam. Der technische Wandel und gerade auch die inzwischen immer umfassenderen digitalen Möglichkeiten sorgen auch für neue Arbeitsabläufe. Und dieser notwendige Wechsel, neudeutsch Change genannt, muss den Mitarbeitern vermittelt werden. Sie müssen mitgenommen werden, was Fingerspitzengefühl erfordert. Die rein printzentrierte Redaktion, wie es sie noch zur Jahrtausendwende gab, ist Geschichte. Wir sind ein Echtzeitbetrieb im 24/7-Modus. Unsere Kunden auf der Online-Seite erwarten das. Ursprünglich war IT eine reine Herstellungs-IT. Jetzt beeinflusst sie maßgeblich den Wandel im Unternehmen. Es wird nicht mehr nur im Hinblick auf die morgige Printausgabe produziert, sondern rund um die Uhr über verschiedene digitale Kanäle.

Diegel: Medien sind sehr wichtig, weil sie eine Vielzahl von Informationen filtern und aufbereiten. Das wird in einigen Foren anders gesehen. Wie kann ein Verlag diesen bewusst gesteuerten Desinformationen im Online-Dschungel eigentlich begegnen?
Wagner: So etwas gab es früher auch schon – etwa bei Stammtischgesprächen. Heute ist das fatale, dass sich solche Desinformationen so dramatisch schnell und einfach verbreiten lassen. Hinzu kommt, dass viele der Online-Nutzer nur das finden, was sie suchen. Das Konzept eines Mediums ist für die Nutzer anders: Sie finden auch etwas, was sie nicht gesucht haben. Und das erweitert den Horizont. Nach diesem Prinzip arbeiten werden wir auch Online. Nur damit können wir überzeugen.
Das Gespräch zeichnete Peter Hanuschke auf.
Frank Diegel
ist seit mehr als 20 Jahren selbstständiger Unternehmer und gehört als studierter Informatiker seit 2007 der Geschäftsführung der Trenz AG an. Davor leitete er als Vorstand die Geschicke der Viventu Solutions AG und vertrat mehr als 800 Partner im Partnerbeirat einer der größten IT-Kooperationen Europas.
Christian Wagner
seit 1982 als Redakteur beim WESER-KURIER und war fast zwei Jahrzehnte Mitglied der Chefredaktion. Dazwischen betreute er mehrfach in der IT des Verlages große Veränderungsprozesse in der Redaktion. Er ist seit Mai 2019 Leiter der IT der WESER-KURIER Mediengruppe.
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Dieser Artikel ist Teil der Sonderveröffentlichung zum 75. Geburtstag des WESER-KURIER. Am 19. September 1945 erschien die erste Ausgabe unserer Zeitung. Anlässlich des Jubiläums blicken wir zurück auf die vergangenen Jahrzehnte: Erinnern uns an die Anfänge unserer Zeitung und auch an die ein oder andere Panne. Und wir schauen nach vorn: Wie werden Künstliche Intelligenz und der Einsatz von Algorithmen den Journalismus verändern? Natürlich denken wir auch an Sie, unsere Leser und Nutzer. Wer folgt unseren Social-Media-Kanälen, wer liest unsere Zeitung? Was ist aus den Menschen geworden, über die wir in den vergangenen Jahren berichtet haben? Und wie läuft er eigentlich ab, so ein Tag beim WESER-KURIER?
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