Was mit einem Wahlpflichtkursus am Gymnasium Links der Weser-Obervieland begann, hat besondere Früchte getragen: Schülerinnen und Schüler haben mit ihrem Lehrer eine Zeitung mit dem Titel „Heimatlos“ herausgebracht. Das einzige Thema – Flucht und Asyl.
Weder die Schüler, noch der Lehrer hatten damit gerechnet, dass in ihrem Unterricht etwas entstehen sollte, das so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht – über die Schulmauern hinaus. Nämlich eine besondere Art von Schülerzeitung, professionell layoutet, hochwertig gedruckt und in einer Auflage von 10.000 Exemplaren in Obervieland und der Stadt verteilt; vor allem aber ein Produkt, in dem sich die Schüler mit einem hochaktuellen Thema auseinandersetzen – Flucht und Asyl. Unter der Überschrift „In eigener Sache“ beschreibt das Redaktionsteam den Anlass: „Nach langem Hin und Her soll die Zentrale Aufnahmestelle (ZASt) für Flüchtlinge in die Alfred-Faust-Straße kommen – gegenüber unserer Schule. Die Aufregung in Stadtteil und Schule ist groß? Was sind das für Leute? Wie wird sich der Alltag verändern?“
Auf 16 Seiten gehen die Schüler diesen Fragen nach. Sie berichten über Begegnungen, über gemeinsame Ausflüge, eine Weihnachtsfeier und ein Fußballturnier mit jugendlichen Flüchtlingen. Sie haben Fakten zusammengetragen, Mitschüler befragt, Fotos gemacht, Kommentare geschrieben. „Wir wollten einfach unsere Eindrücke schildern“, sagt Quentin Emde, 16 Jahre alt. „Ich fand es auch wichtig, mir eine eigene Meinung zu bilden und nicht die der Medien zu übernehmen.“
Wer mehr über individuelle Schicksale wisse, sei vielleicht bereit, seine Vorurteile zu überdenken, hoffen die Schüler. „In den Nachrichten hört man immer große Zahlen. Aber wenn man die Geschichte eines Flüchtlings hört, der einem gegenübersitzt, sieht man, dass die Masse aus lauter einzelnen Schicksalen besteht.“ Und auch unter ihren Mitschülern, sagt Jan Jakubiak, gebe es einige, denen nicht klar sei, warum und wie Flüchtlinge nach Bremen kommen.
Die Ausgabe „Heimatlos“ ist eine Premiere. Eigentlich war nie eine Schülerzeitung geplant, schon gar nicht in diesem Umfang. 2013 begannen sich Schüler des neunten Jahrgangs mit ihrem Lehrer Jens Winter im Wahlpflichtkursus Menschenrechte mit Flucht und Asyl zu beschäftigen. „Das Thema war groß in den Medien, aber wir haben auch selber Flüchtlinge gesehen, die von der ZASt in Habenhausen kamen“, berichten die Schüler. Von großer Bedeutung sei der persönliche Kontakt zu ihnen gewesen. Lehrer Winter legte Wert darauf, „dass wir das Thema nicht stur im Unterricht durchziehen, sondern aufnehmen, was hier im Stadtteil los ist“. So sei die Idee herangereift, persönliche Treffen zu organisieren und das gesammelte Wissen mit einer „Stadtteilzeitung“ weiterzutragen. Als sich abzeichnete, wie umfangreich die Ausgabe werden könnte, suchte Winter Unterstützer und fand sie in der Sparkasse Bremen (Stadtteilinitiative gemeinsam gut!), der Landeszentrale für politische Bildung und dem Bürgerhaus Obervieland. Die Werbeagentur von Ulf Nawrot, Onkel eines Schülers, nahm die Gestaltung in die Hände.
Das Ergebnis hat Mitschüler, Lehrer und Eltern überrascht und beeindruckt. „Dass es so gut werden würde“, sagt Schülerin Sabrina Kolinko, „hätte niemand von uns gedacht“. Urplötzlich, erzählt Jill Schneider, hätten Mitschüler noch mitten im Schuljahr in den Wahlpflichtkursus Menschenrechte wechseln wollen. „Heimatlos“ hat den Schülern nicht nur einen Sonderpreis in der Kategorie „Einsatz für eine bessere Gesellschaft“ beim Schülerzeitungswettbewerb des Landes eingebracht, sondern auch eine Einladung zum Präsidenten der Bürgerschaft, Christian Weber.
Dass Schule auf diese Weise auf aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklungen reagiert, ist keine Selbstverständlichkeit. Politische Bildung sei jedoch bewusst ein Schwerpunkt des Gymnasiums Links der Weser, sagt Schulleiter Uwe Sudmann. „In den Wahlpflichtkursen lassen wir den Kollegen freie Hand, deshalb kann so etwas entstehen.“Allerdings habe das Engagement Jens Winters eine große Rolle gespielt: Im Sommer endete der Kursus, manche Schüler des Redaktionsteams wechselten sogar die Schule. Winter hielt alle zusammen – in seinem Sabbatjahr, also in seiner Freizeit.
Was wird aus der „Stadtteilzeitung“, werden weitere Ausgaben folgen? Womöglich, überlegen Sudmann und Winter, könne am Ende des nächsten Wahlpflichtkurses Menschenrechte ein neue Folge stehen. Dafür sei jedoch nicht nur besonderes Engagement der Schule und Schüler nötig, sondern obendrein „einen vernünftige Finanzierung“.
„Heimatlos“ wird heute im Schulmuseum mit einer Reihe anderer Schülerzeitungen gewürdigt, die beim bremischen Landeswettbewerb gewonnen haben. Ein Teil der Landessieger hat sich für den Bundeswettbewerb qualifiziert. „Heimatlos“ zählt auch dazu.