Bahnhofsvorstadt. Die Leinwand steht bereit, die Spaziergänger haben Platz genommen. Bei gedämpftem Licht warten sie in der DKV-Residenz am Wandrahm auf die Premiere des Bremer "Astro Walk". Lieselotte Pézsa aus Horn-Lehe, die Initiatorin, ist dabei, und sie ist nicht allein gekommen. Schauspieler Ralf Knapp vom Bremer Kriminaltheater und dem Bremer Ensemble, Gästeführerin Norma Holthusen und Kunsthistorikerin Regina Gramse begleiten den Sternengang.
Die Führung im Sitzen beginnt am Olbers-Denkmal in den Wallanlagen, gegenüber der Kunsthalle. Auf der Leinwand hat das Denkmal noch keinen Zaun. Gästeführerin Norma Holthusen erklärt die Reliefs am Sockel des Denkmals aus italienischem Marmor, mit der Darstellung der Vesta. Vesta ist die alt-italienische Göttin des Herds und Heims und Namensgeberin eines Planetoiden den Olbers mit entdeckte. Da fällt ihr Olbers selbst, in Gestalt von Ralf Knapp, ins Wort. Ein Denkmal hatte er nie gewollt.
Heinrich Matthias Wilhelm Olbers (1758-1840) erzählt lebhaft von seinen Tagen als Arzt und von den Nächten, in denen er fernsah. Nicht so wie die Menschen heute. Er schaute mit seinem Fernrohr in den Himmel, beobachtete Sterne und Schatten zwischen den Sternen. Vier Stunden Schlaf mussten ihm reichen. Mathematik faszinierte ihn, denn mit ihrer Hilfe lassen sich die Beobachtungen im Weltraum in Thesen und schlüssige Erkenntnisse übertragen. Aber was beobachteten andere? Olbers tauschte sich mit Johann Hieronymus Schröter in Lilienthal aus. Der ließ sich 1792 das größte Spiegelteleskop Europas bauen. Olbers hatte einen Fraunhofer Refraktor von 1,65 Meter Gesamtlänge an seinem Fenster in der Sandstraße stehen.
1800 arbeiteten 24 europäische Astronomen zusammen. Mit Johann Carl Friedrich Gauß aus Göttingen und der Mithilfe weiterer Kollegen entdeckte Heinrich Olbers zwischen Mars und Jupiter die Planetoiden Ceres, Pallas und Vesta.Grundlage war die genaue Beobachtung eines schwarzen Flecks am Himmel. Ein Durchbruch.
Olbers war längst klar, dass die Armillarsphäre, die Himmelsmechanik, die den Lauf von Gestirnen verdeutlicht, auf dem Dach des Bremer Rathauses nicht der realen Welt entsprach, die er nachts beobachtete. Dafür konnte er sich auf den Glockenschlag des Doms verlassen. Denn die Glocken wurden von Ordensbrüdern nach der Sonnenuhr im Innenhof des Doms geläutet, und die ging mittags um zwölf immer richtig. Sie zeigte auch Monat und Stunde an. Allerdings war den Ordensbrüdern egal, ob die Stunden im Sommer etwas länger oder im Winter etwas kürzer waren, doch die Anzeige der Sonnenwende im Frühjahr und Herbst stimmte, und sie stimmt auch heute noch.
Wilhelm Olbers lernt den Bremer Friedrich Wilhelm Bessel kennen und empfahl ihn nach Lilienthal. Von dort aus wurde Bessel Professor und Direktor der Sternwarte in Königsberg. Er berechnete die Bahn des halleyschen Kometen, der 2024 wieder sichtbar wird. Bessels Art der Tiefenmessung im Weltraum durch Winkelbestimmung wurde übertragen auf die Landvermessung in Norddeutschland. Fürsten wollten ihre Besitztümer in Quadratmetern messen. Das wurde möglich durch die astronomische Entfernungsberechnung. Vom Turm der Ansgarikirche, die damals noch in der Bremer Altstadt stand, zum Turm der Kirche in Zeven ging die Messung.
Vor der Leinwand hat Astro-Führerin Holthusen den Schauspieler abgelöst und weist auf die Sonnenuhr an der Raths-Apotheke hin, die 1960 vom Bildhauer August Tölken gefertigt wurde und die nicht nach Süden ausgerichtet ist, weswegen der Zeiger in einem besonderen Winkel konstruiert werden musste. Fotos von astronomischen Attraktionen Bremens werden gezeigt, und das Nachtleben von Olbers wird nachvollziehbar. Sein Zuhause in der Sandstraße, seine Vorträge im alten Domshof, dem heutigen Sitz des "Klubs zu Bremen" und vieles mehr, kommt den Zuschauern nahe, ohne dass sie wandern müssen.
Zum Schluss erklärt Regina Gramse ein Bild von Ernst Barlach, auf dem Hans Iver (aus dem Drama "Der arme Vetter") verzweifelt in den Sternenhimmel schaut. Dieser Schlusspunkt entspricht der tatsächlichen Stadtführung, die im Museum Weserburg endet. Hans Iver verzweifelt an den Menschen, die nicht den Sinn des Lebens suchen, sondern dem Geld nachlaufen. Olbers verzweifelte beinahe 1804 am Olbersschen Paradoxon. "Warum ist es nachts dunkel, wo doch jedes Licht immer reflektiert wird und immer da ist? Es kann nachts nicht weniger Licht geben als tags", war Olbers' Gedanke. Eine wahrhaft einleuchtende Erklärung fand er dank seiner Laterne. Wenn er sie nachts zum Himmel hob, wurden die Sterne unsichtbar. Fortan wollte Olbers die Schöpfung vor solchen menschlichen Einflüssen bewahren.
Die Idee des "Astro Walk" steht im Zusammenhang mit der Auszeichnung "Stadt der Wissenschaft" von 2005. "Astro Walks" gibt es in Kassel, Istanbul und weiteren europäischen Städten. Das Hinweisblatt liegt in neun Sprachen vor, und die Astro-Führerinnen haben an Weiterbildungen teilgenommen. Die Mischung aus Schauspiel, unterweisender Führung und Kunst ist im Journal für Astronomie gewürdigt worden. Im internationalen Jahr der Astronomie 2009 wurde der "Junior Astro Walk" den Bremer Schulen, von der Senatorin für Bildung und Wissenschaft, nahegelegt, auch wegen seiner Mehrsprachigkeit. Jetzt kann der Spaziergang auch Menschen vermittelt werden, die nicht gut zu Fuß sind.
Näheres bei Lieselotte Pézsa, Telefon 334 71 68, Führungen jeden ersten Sonnabend von Februar bis November, Start immer 14 Uhr, Treffpunkt vor der Kunsthalle, Am Wall 207. Erwachsene 7,50 Euro, Schüler und S tudierende sechs Euro, Kinder bis zwölf Jahre in Begleitung frei. Weiteres auf Anfrage und auf www.astro-walk.com. Weiteres Astro-Thema: "Wissen um elf" auf Seite 5.