Vor rund einem Jahr hatte die Große Koalition im Bund beschlossen, die kassenärztliche Hotline 116 117 zu stärken, um die bundesweit überfüllten Notaufnahmen der Krankenhäuser zu entlasten. Inzwischen ist klar: Sie wirkt, vor allem im Zusammenhang mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Insbesondere zu Beginn im Frühjahr zogen viele Bremerinnen und Bremer den Anruf beim Bereitschaftsdienst einer Fahrt in die Notaufnahme vor.
Ob damit vor allem März und April weniger sogenannte Bagatellfälle, also Patienten, die eigentlich keine Notfälle sind, in den Ambulanzen aufgetaucht sind, darüber führt die Kassenärztlichen Vereinigung Bremen (KVHB) nicht Buch. „Man könnte es aber vermuten“, sagt Sprecher Christoph Fox. „So makaber es klingt, aber im März und April war die Situation so, wie wir sie sich uns wünschen.“ Nämlich, dass nur die Fälle in den Bereitschaftspraxen und in den Notaufnahmen gelandet seien, für die sie auch bestimmt seien.
Fakt ist: Wesentlich mehr erkrankte Bremer als sonst wählten in der Zeit des Lockdown die Hotline, über die Ärzte eine erste Einschätzung vornehmen, wie dringend jemand behandelt werden muss. „Die 116 117 war zu Beginn der Krise im März und April die Corona-Hotline schlechthin“, sagt Fox. „Wir hatten im März mit 10.800 Kontakten mehr als drei Mal so viele wie im Vorjahr.“ Dieser Trend setzt sich bis auf Weiteres fort, auch im April, Juni und Juli lag die Zahl der Anruferinnen und Anrufer laut KVHB bei jeweils rund 6300, im Mai bei knapp 6900. Im Frühjahr und Sommer 2019 hatten sich rund 3000 Menschen in medizinischen Notfällen beraten lassen.
Eng zusammenhängend mit der gestiegenen Zahlen der Hotline ist laut Fox, dass Erkrankte sich seltener in die Bereitschaftspraxen wagten und auch dort die telefonische Beratung vorzogen. „Die Anzahl der Fälle im Behandlungsdienst ist deutlich zurückgegangen. Dieser Trend setzte sich bis Juli fort“, sagt Fox. Zum Vergleich: Im April 2019 ließen sich rund 2500 Patienten in den Praxen des Bereitschaftsdienstes behandeln, im April 2020 rund 1000 weniger. Inzwischen sind die Zahlen wieder gestiegen, im Juli waren es rund 260 Patienten weniger als im gleichen Monat des Vorjahres.
Leere Notaufnahmen im Frühjahr
Dasselbe Phänomen wie in den Praxen des Bereitschaftsdienstes hatte sich vor allem im Frühjahr bundesweit auch in den Krankenhäusern gezeigt. Leere Notaufnahmen, weil offenbar viele, die eigentlich akut hätten behandelt werden müssen, auf einen Besuch in einer Klinik verzichteten. Einer der Hauptgründe für die Zurückhaltung, so erklärten die Fachleute damals, sei die Furcht der Menschen, sich im Krankenhaus mit dem Coronavirus anzustecken.
Die Auslastung der Ambulanz in Mitte hatte im April und Mai laut Geno-Sprecherin Karen Matiszick bei rund 60 Prozent gelegen, im St.-Joseph-Stift bei 50 Prozent. Auch der Rettungsdienst der Feuerwehr hatte in der ersten Corona-Hochphase deutlich seltener Patienten in die Krankenhäuser gebracht. Sprecher Michael Richartz: „Normalerweise haben wir jährlich rund 80.000 Fahrten. Für dieses Jahr rechnen wir damit, dass es am Ende zwischen 1000 und 2000 weniger sind.“
Inzwischen haben viele Patienten ihre Zurückhaltung aufgegeben. Die Auslastung der Ambulanzen in den Kliniken ist zwar noch nicht wieder auf dem Niveau aus der Zeit vor der Pandemie, aber sie ist wieder deutlich angestiegen. Die größte Notaufnahme Bremens am Klinikum Mitte ist laut Karen Matiszick wieder zu 85 Prozent belegt. Ähnliche Werte haben ihr zufolge auch die anderen Geno-Häuser. Aus dem St.-Joseph-Stift meldet Notaufnahme-Chef Christian Graeser eine Auslastung von 87 Prozent für den Juli, und auch ins Bremerhavener Klinikum Reinkenheide kommen laut Sprecherin Katja Drczymalla inzwischen wieder zunehmend mehr Notfälle. „Wir liegen wieder fast auf dem Niveau von Anfang des Jahres“, sagt die Sprecherin.
Allerdings hat sich der Schwerpunkt der Behandlungen offenbar verändert. Es gibt, so beobachtet es zumindest Klaus-Peter Hermes, Chefarzt der Zentralen Notaufnahme am Klinikum Mitte, sowohl weniger Infektionen als auch Verletzungen, wie sie zum Beispiel bei Schlägereien beispielsweise nach Fußballspielen oder Großpartys entstehen. Dafür behandeln die Notärzte aber mehr Patienten, die nach Fahrrad-Unfällen operiert werden müssen. „Wir sind eigentlich ganz froh, dass wir Ärzte nun auch mal wieder andere Krankheitsbilder sehen als Corona“, sagt auch Notarzt Christian Graeser. „Allerdings bleibt abzuwarten, wie sich die Menschen im Herbst verhalten.“ Im Moment verbreiteten sich noch keine Influenza-Viren, die ähnliche Symptome wie Corona verursachen. „Die Frage ist, ob die Menschen in den kommenden Wochen wieder mehr Angst vor dem Klinikbesuch entwickeln“, sagt er.