
Mit der ISIS rückt derzeit eine besonders grausame Terrorgruppe im Nahen Osten vor. Doch islamistischer Terror beschäftigt die Welt schon viel länger. Ben Zimmermann sprach mit dem Islamwissenschaftler Götz Nordbruch über diese Gefahr und die Rekrutierung junger Dschihadisten in Deutschland.
ISIS im Nahen Osten, Boko Haram in Nigeria, die Taliban in Afghanistan und Pakistan – der Islam wird derzeit vor allem in Verbindung mit Krieg und Gewalt wahrgenommen. Ist dieser Eindruck richtig?
Götz Nordbruch: Die genannten Probleme kann man natürlich nicht leugnen – auch die Probleme nicht, die es hierzulande gibt. Umso wichtiger ist es, die Normalität von Muslimen, auch hier in Deutschland, hervorzuheben. Das gerät leider oft aus dem Blick.
Wir wollen an dieser Stelle trotzdem kritisch die problematischen Seiten beleuchten. Auch wenn natürlich zwischen Islam und Islamismus unterschieden werden muss, fällt auf, dass diese Religion viel Extremismus hervorbringt. Warum?
Der Nahe Osten ist natürlich historisch vorbelastet, und auch in der jüngsten Zeit – Beispiel Irak-Krieg – ist viel falsch gemacht worden. Deshalb trägt auch der Westen eine große Verantwortung. Aber darauf lässt sich das nicht reduzieren. Wenn wir uns etwa die Entwicklungen in Ägypten oder Syrien angucken, sehen wir auch sehr viele hausgemachte Probleme. Deshalb kommt zum Beispiel auch der islamischen Theologie in Deutschland eine große Rolle zu, um selbstkritisch die eigenen Traditionen zu befragen.
Auch aus Deutschland ziehen Muslime in den Dschihad nach Syrien oder in den Irak. Was fasziniert junge Menschen, die hier aufgewachsen sind, an solch einer grausamen Terrortruppe wie ISIS?
Es kommen viele Sachen zusammen: Da spielt zum einen eine Art Abenteuerlust eine Rolle, denn die Islamisten inszenieren sich als Freiheitskämpfer wie im Hollywood-Film. Außerdem wird sehr stark ein Gemeinschaftsgefühl bedient: Man wird Teil einer eingeschworenen Gemeinschaft, in der man Unterstützung erfährt und mit der man die Welt verändern kann. Das ist sehr attraktiv beispielsweise für Jugendliche, die aus dem kriminellen Milieu kommen, eine schwierige Biografie hinter sich haben und Orientierung suchen. Das hat nichts mit Spiritualität zu tun.
Der Islamismus also als Rückhalt für Verlierertypen?
Jugendliche mit biografischen Brüchen machen in der Tat einen großen Teil aus. Es sind aber auch junge Leute aus bildungsnahen Schichten dabei. Das ist ähnlich wie beim Rechtsextremismus, auch dort finden sich ganz verschiedene Biografien.
Welche Rolle spielen Salafisten wie Pierre Vogel bei der Anwerbung von Dschihadisten hierzulande?
Von Pierre Vogel gibt es keine Äußerungen, in denen zur Teilnahme am Krieg in Syrien oder im Irak aufgerufen wird . . .
. . . weil er weiß, dass dann das Strafrecht droht?
Diese Vermutung ist nicht abwegig. Klar ist, dass er mit der Ambivalenz spielt. Es gibt beispielsweise ein Bild von ihm, auf dem er ein Fruchtsaftgetränk namens Isis stolz in die Kamera hält und grinst. Es fällt außerdem auf, dass er auf Fragen nach ISIS sagt, man wisse gar nicht, was in Syrien wirklich passiert. Das ist nicht mal der Hauch einer Distanzierung. Gleichwohl äußert er sich sehr abwertend über Juden, Christen und Schiiten und bezeichnet sie als Irregeleitete oder Ungläubige, die in die Hölle kommen. Das heißt: Er ruft nicht offen zum Dschihad auf, hat aber keine Hemmungen, Andersgläubige zu diffamieren – und nimmt es in Kauf, dass seine Zuhörer dann auch radikalere Schlüsse daraus ziehen.
Eine andere bekannte Figur ist der Rapper Denis Cuspert alias Deso Dogg, der angeblich für ISIS kämpft oder bereits dabei umkam. Welche Rolle spielt diese Musikszene für die Islamisten?
Eine große. Viele Jugendliche fühlen sich von dem Gangsta-Rap-Milieu angezogen. Deso Dogg sagte noch zu seiner früheren Zeit als Rapper, er kämpfe gegen die „schwule, perverse Welt da draußen“. Das ist fast das gleiche Weltbild, das er auch heute noch vertritt, nur dass sich der Bezug geändert hat: Damals war es „Wir hier unten gegen die da oben“, heute ist es „Muslime gegen Nichtmuslime“. Für so eine Einstellung muss man sich gar nicht mit der Religion auseinandersetzen.
Gangsta-Rap propagiert Sex, Drogen, Kriminalität – für fromme Muslime eigentlich Teufelszeug. Wie passt das zusammen?
Pierre Vogel verspricht: Richtig cool leben kann man nur als Muslim. Genau das spricht Jugendliche – insbesondere unter eher schwierigen Lebensumständen – an. Sie sehen ja selbst, dass so ein Leben mit Drogen und Kriminalität nicht ewig weitergeht. Und dann kommt einer und bietet den Islam an: Nur ein paar Regeln, die man befolgen muss, und man ist auf dem richtigen Weg. Das ist wie eine Art Befreiung, auch für Leute wie Deso Dogg. Das Weltbild ändert sich dabei gar nicht.
Kommt man an solche Leute überhaupt noch heran?
Wir arbeiten in Workshops mit Jugendlichen, die noch nicht in der Szene sind. Wir versuchen sie dafür zu sensibilisieren, welche Ideologie Leute wie Pierre Vogel vermitteln, damit sie ihr nicht auf den Leim gehen. Ein anderes Beispiel: Wir diskutieren auf Facebook mit jungen Muslimen viel über Fragen der Religion. Dabei wollen wir ihnen zeigen, dass es Alternativen zu den Salafisten gibt und dass man sehr wohl als Muslim in Deutschland erfolgreich sein kann.
Der Gaza-Krieg hat Tausende Muslime in Deutschland und ganz Europa auf die Straße getrieben. Welche Bedeutung hat der Nahost-Konflikt für die Migranten?
Eine ganz wichtige. Dabei geht es gar nicht in erster Linie darum, was Israel macht. Dieser Konflikt ist eine Metapher für den vermeintlichen Krieg des Westens gegen den Islam. Es fällt ja auf, dass hier die Emotionen hochkochen, sobald es um Palästina geht. Wenn es dagegen in Tschetschenien oder in Syrien knallt, schlägt das nicht solche Wellen.
Inwieweit spielen dabei antisemitische Einstellungen eine Rolle?
Die sind durchaus weit verbreitet, auch wenn es bei Jugendlichen nur selten geschlossen antisemitische Weltbilder sind. Für besonders problematisch halte ich in diesem Zusammenhang Verschwörungstheorien – was sich aber nicht nur auf Muslime beschränkt. Man denke nur an die Theorien über die Anschläge vom 11. September 2001. Dahinter steckt meistens die Aussage: Die Medien belügen euch! Dieses grundsätzliche Misstrauen gegenüber „den“ Medien ist ein Problem, das uns sicher noch verstärkt beschäftigen wird.
Zur Person
Götz Nordbruch (40) ist promovierter Islamwissenschaftler und Mitbegründer von ufuq.de. Der Verein engagiert sich in der politischen Bildung von Muslimen, die er unter anderem für die Gefahren islamistischer Einstellungen sensibilisieren will.
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