
Am Dienstagabend kommen sowohl die Mitglieder der SPD als auch die Mitglieder der Grünen zusammen. Beide Parteien wollen die wichtigsten Punkte für die Koalitionsverhandlungen festlegen. Doch während die Grünen noch über ihr Spitzenpersonal streiten und um ihre inhaltlichen Schwerpunkte für die Zukunft ringen, bleibt es auch rechnerisch für Rot-Grün eng im Parlament.
Sozialdemokraten und Grüne kommen zusammen auf 44 Sitze, die anderen Parteien insgesamt auf 39 Sitze. Damit hat Rot-Grün nur zwei Abgeordnete mehr als die absolute Mehrheit von 42 Abgeordneten, die nötig ist, um ohne Hilfe der Opposition Entscheidungen zu treffen. Diese Mehrheit betrachten manche als tragfähig, andere als sehr dürftig. Klar ist: Die kommenden vier Jahre werden für Rot-Grün deutlich unkomfortabler als die vergangenen. Zwei Abweichler unter den Abgeordneten, die gegen die eigene Fraktion stimmen, könnte Rot-Grün aushalten – drei nicht.Dass Bürgerschaftsabgeordnete nicht mit ihrer eigenen Fraktion abstimmen oder sogar gegen diese, kommt eher selten vor. SPD-Fraktionssprecher André Städler kann sich auf Nachfrage an keinen SPD-Abgeordneten erinnern, der in den vergangenen Jahren nicht im Sinne der eigenen Fraktion abgestimmt habe: „Es ist mir nicht bekannt, dass Mehrheitsentscheidungen bei uns von Abgeordneten umgangen worden wären.“ Mehrheiten würden bei der SPD auf demokratischem Weg hergestellt, so Städler. „Wir suchen die Aussprache bei unseren wöchentlichen Fraktionssitzungen, dort können die Abgeordneten ihre Meinung kundtun, und bei konfliktreichen Themen können wir intern über einen Antrag abstimmen.“ Entscheidungen, die auf diese Weise getroffen würden, würden normalerweise auch von den Abgeordneten mitgetragen, die anderer Meinung waren – aus Fraktionssolidarität, so Städler.
Bei den Grünen gab es zuletzt allerdings Beispiele dafür, dass nicht alle gemeinsam abstimmen: Kurz vor der Wahl setzte sich die grüne Abgeordnete Susanne Wendland deutlich von der eigenen Fraktion ab. Sie hatte in ihrer Fraktion gegen die geschlossene Unterbringung von minderjährigen Flüchtlingen gestimmt und sich später in der Bürgerschaft der Abstimmung entzogen, indem sie den Raum verließ.
„Da reicht eine Susanne Wendland, und die rot-grüne Mehrheit kommt ins Wanken“, fürchteten manche in Bremen schon am Wahlabend, als die rot-grüne Mehrheit nach der ersten Hochrechnung noch dünner zu sein schien als sie letztlich ist. Jetzt hat Rot-Grün zwei Stimmen mehr als unbedingt notwendig, dennoch: Die Lage bleibt wenig komfortabel. Kommt es zur rot-grünen Regierung, werden die Fraktionen ihre Abgeordneten stärker darauf einschwören müssen, gemeinsam abzustimmen.
Und die knappe Mehrheit könnte möglicherweise noch knapper werden: Einerseits kann es passieren, dass der SPD-Kandidat Mehmet Acar aus der Fraktion ausscheidet. Acar soll Steuern und Sozialbeiträge hinterzogen haben (wir berichteten). Erhärten sich die Vorwürfe und legt Acar sein Mandat dennoch nicht nieder, dann könnte er von der Fraktion ausgeschlossen werden, bliebe aber im Parlament.
Eine weitere Stimme könnte die SPD eventuell noch an die AfD verlieren. Die AfD erzielte vier Sitze, ihr fehlen nur 50 Stimmen für einen fünften. Die Partei will die Auszählung der Stimmen prüfen lassen, nachdem in Bremerhaven Schüler bei der Auszählung für die Stadtverordnetenversammlung manipuliert haben sollen.
Landeswahlleiter Jürgen Wayand geht davon aus, dass es nicht zur Wahlprüfung kommt – das Ansinnen der AfD sei „völlig aussichtslos“: „Es gibt keine Hinweise, dass bei der Auszählung etwas falsch gelaufen ist, die AfD hat nichts in der Hand.“ Zwar hätten die Schüler, die bei der Stadtverordnetenversammlung manipuliert haben sollen, auch Stimmen für die Bürgerschaft gezählt. Allerdings: „Der komplette Bezirk, mit dem diese Schüler für die Bürgerschaftswahl zu tun hatten, wurde noch einmal neu ausgezählt“, betont Wayand. „Es gab dort keine Unregelmäßigkeiten.“
Am 10. Mai wird in Bremen gewählt. In unserer Serie „Offene Wahl“ beschäftigen wir uns im Vorfeld mit den politischen Baustellen der Stadt und werden uns auf die Suche nach Lösungsansätzen begeben. Die 13-teilige Themenserie bietet Hintergrund und Analyse.