
Mit zitternden Händen klammert sich Ermittler Gereon Rath in einer Toilettenkabine des Polizeipräsidiums an der Tür fest, sinkt auf den schmutzigen Boden, ringt nach Luft und kann sich nicht mehr bewegen. Raths Angst vor seiner Vergangenheit als Soldat im Ersten Weltkrieg droht, den Polizisten umzubringen. „Ich führe dich jetzt zur Quelle deiner Angst“, zischt ein zu Beginn noch unbekannter Mann, der den von Volker Bruch gespielten Polizisten von seiner psychischen Krankheit befreien soll. Die epische Serie „Babylon Berlin“ ist angesiedelt im Berlin der Goldenen Zwanziger der Weimarer Republik zwischen den beiden Weltkriegen. Auch die Serie selbst ist der Versuch, eine Angst zu besiegen – die deutsche Versagensangst gegenüber US-amerikanischen Überserien, die zuletzt Ästhetik und Geschmack der Zuschauer bestimmt haben. Hohe Erwartungen – die die Serie mit Bravour erfüllt.
Wie in der Romanvorlage „Der nasse Fisch“ von Volker Kutscher kommt der Ermittler Gereon Rath von Köln nach Berlin, um einen Pornoring hochzunehmen – und wird direkt in die Erpressung eines ranghohen Politikers verwickelt. Unterstützt wird er bei seinen Ermittlungen von der Stenotypisten aus prekären Verhältnissen Charlotte Richter (Liv Lisa Fries mit viel frechem und emanzipiertem Charme). Sein offizieller Polizeipartner ist Bruno Wolter (Peter Kurth mit einer angsteinflößenden körperlichen Präsenz). Die Serie zeigt Berlin in seiner ganzen Pracht und Verruchtheit. Alles dabei: von Champagnerpartys im Club Moka Efti, in dem eine Travestiekünstlerin schaurig-schön „Zu Asche zu Staub“ intoniert, bis zur runtergekommenen Wohnung von Charlotte Ritter; ohne fließendes Wasser, dafür mit prügelnden Männern. Die Stadt trieft nur so vor Überfluss und Kriminalität. Inszenatorisch sowie in der Ausstattung muss sich die teuerste deutsche Serie, die maßgeblich von Tom Tykwer ausgestaltet wurde, nicht verstecken.
Spaß macht die als gut geschriebener Krimi daherkommende Serie auch, weil sich gleichzeitig so bedeutsame politische Aspekte thematisiert. Berlin ist ein Spiegel der Weimarer Republik – und eines gespaltenen Landes. Dessen Fraktionen wachsen aus der klaffenden Wunde, die der Erste Weltkrieg hinterließ. Extremisten von rechts und links und russische Agenten verdunkeln den Himmel über Berlin. Der eingangs beschworene Quell der Angst ist also nicht nur in Raths Psychosen verankert, sondern auch in der Gewalt, die in der Stadt herrscht. Ein Jahr nach der Erstausstrahlung beim Bezahlsender Sky, der die Serie mitfinanziert hat, lässt sich an diesem Sonntag um 20.15 Uhr in der ARD dieses faszinierende Geschichtspanorama über deutsche Angst besichtigen. Eindringlich und undidaktisch wird hier Geschichte gezeigt, dank der man hinterher etwas besser weiß, wo die Gegenwart herkommt.
job4u ist die regionale Plattform, wenn es um Lehren und Lernen geht. Neben dem WESER-KURIER, der Handelskammer und der Handwerkskammer Bremen machen sich hiesige Firmen für junge Leute stark.