
Bei Margarita Iwanowna zählt jedes Lebensjahr für zwei, so viel hat sie erlebt. Das wird sie nicht müde zu betonen. Die Matriarchin einer russischen Auswandererfamilie ist die Großmutter des Ich-Erzählers Maxim, genannt Max. Die Geschichte der Familie beginnt für den Leser kurz nach der Ankunft der Großeltern mit ihrem Enkel in Deutschland. Max ist zu diesem Zeitpunkt sechs Jahre alt und wird ununterbrochen von seiner Großmutter malträtiert, weil die davon ausgeht, dass Max nicht nur von allen möglichen chronischen Krankheiten geplagt ist, sondern außerdem „ein Idiot“.
„Der Zopf meiner Großmutter“ ist das zehnte Buch der 1978 in Russland geborenen Autorin, die unter dem Pseudonym Alina Bronsky schreibt und in Berlin lebt. Obwohl ihr Roman aus Sicht des Ich-Erzählers Max geschrieben ist, ist es eigentlich die Großmutter, die im Zentrum der Geschichte steht: ihr Kampf in dem neuen Land zurechtzukommen, ihre sture Weigerung einzusehen, dass ihr das kaum gelingt, ihr Zwang sich für andere aufzuopfern – ohne dabei zu merken, dass sie damit meistens eher belastet als hilft –, ihre Unfähigkeit liebevoll zu sein, obwohl sie voller Liebe ist; ihre Misanthropie, die sich vor allem gegen Juden richtet.
Bronskys Roman ist dabei einerseits eine tragische Geschichte. Andererseits ist die Erzählweise nicht nur temporeich, sondern auch sehr humorvoll. Alina Bronsky ist bekannt für ihre pointierten Sätze und die darin enthaltene bittersüße Komik. In ihrem neuen Buch ist der Humor fast schon schwarz. Besonders dann, wenn Ich-Erzähler Maxim mal wieder davon ausgeht, dass er demnächst sterben könnte – zum Beispiel an herrkömmlichem Speiseeis, wegen der Bakterien im deutschen Grundwasser. So hat es ihm seine Großmutter eingetrichtert. Immer wieder sagt sie ihm, er sei „missraten“ und könne an den normalsten Dingen verenden.
Dabei wirken die Dialoge zwischen Max und seiner Großmutter, vor allem zu Beginn des Buchs, mitunter zu gewollt witzig. Das lässt aber im Verlauf der Geschichte nach und macht Platz für eine sensiblere Betrachtung der Protagonisten. So wird die Geschichte immer ernster, aber auch tiefgründiger.
„Der Zopf meiner Großmutter“ ununterbrochen gut und zügig lesbar und auf eine schräge Art ebenso komisch wie gefühlvoll. Insgesamt schafft es die Autorin in ihrem Roman, eine subtile Spannung aufzubauen, weil sich für den Leser einerseits Wissenslücken auftun (wie die Frage nach Maxims Eltern), er aber spürt, dass diese Fragen noch beantwortet werden – auch, weil Bronsky immer wieder kleine Puzzleteile der Familiengeschichte preisgibt.
Alina Bronsky: Der Zopf meiner Großmutter.
Kiepenheuer & Witsch, Köln.
213 Seiten, 20 €.
job4u ist die regionale Plattform, wenn es um Lehren und Lernen geht. Neben dem WESER-KURIER, der Handelskammer und der Handwerkskammer Bremen machen sich hiesige Firmen für junge Leute stark.