
Auf der Berlinale hatte Fatih Akins neuer Film „Der Goldene Handschuh“ gerade Weltpremiere – eine düstere Geschichte über den grausamen Frauenmörder Fritz Honka und die legendäre Hamburger Absturzkneipe. Manfred Ertel traf kurz zuvor, mitten in den finalen Produktionsarbeiten, einen entspannten Filmemacher zum Gespräch über sein neues Projekt und den Umgang mit der Gewalt, über sein Verhältnis zu Preisen und seine Träume.
Ihr letzter Film „Aus dem Nichts“ spielte zu großen Teilen auf St. Pauli, was bedeutet der Kiez für Sie?
Ich bin gerne auf dem Kiez, da ist viel los auf den Straßen und wo viel los ist, kann ich viel mitnehmen und davon profitieren als jemand der Filme über die Straße macht, das Leben dort, die Menschen, die Zusammenhänge.
War das einer der Auslöser für Ihren neuen Film?
So ein Film besteht für mich aus zwei Teilen. Im Vordergrund steht der Teil, den ich nicht so gut kenne, die Darstellung von einem Serienmörder. Ich musste mich in die Person hineinversetzen, wer kann das schon hundertprozentig. Es wäre vermessen zu behaupten, ich weiß, wie der fühlt. Man erarbeitet sich das. Aber es gibt eben auch einen Hintergrund, das sind St. Pauli und Altona, wo Fritz Honka lebte und unterwegs war. Das kannte ich nun, da musste ich nicht so viel Energie dran verlieren und konnte mich mehr auf Honka konzentrieren. Das war natürlich hilfreich.
Was reizte Sie an dem Thema mehr, die Figur des Frauenmörders Honka oder das Milieu?
Es war immer die Frage, wer bringt da wen um. Also einerseits den Honka glaubhaft zu erzählen, und zwar so, dass er zwar Monster und Scheusal bleibt, ich aber als Zuschauer trotzdem daran hängen bleibe. Und dann natürlich die Frage: Wen hat er da eigentlich umgebracht. Was waren das für Frauen, woher kamen die. Wie müssen die ausgesehen haben und warum hat sich niemand um die gekümmert. Die Opfer eben auch so treffend und präzise wie möglich zu erzählen. Das war der Reiz bei der Nummer.
Sie muten den Zuschauern mit dem Stoff einiges zu . . .
Ja, der Film geht weit.
Wie sehr beschäftigt Sie dieser Gedanke vorher oder blenden Sie das zu Gunsten künstlerischer Vorstellungen aus und überlassen dem Zuschauer die Entscheidung, ob er sich das zumuten will?
Die Gewaltdarstellung war schon ein großes Thema. Auch für meinen Kameramann und für meine Produzenten. Es war relativ schnell klar, was man nicht will: Man will keine Tarantino-Nummer daraus machen und keinen Slasher-Film.
Also keine Gewalt-Orgie?
Keine Gewalt um der Gewalt willen. Aber nun ist das ja eine Geschichte, die auch von Gewalt handelt. Das Thema ist Gewalt, darum muss Gewalt auch Teil des Filmes sein. Deshalb sucht man sich den ehrlichsten Weg und den wahrhaftigsten, wo nicht nur die Gewalt ausgestellt wird.
Muss man dazu als Regisseur auch Kompromisse machen, die einem schwer fallen?
Es gab weniger Kompromisse als Überschneidungen von Vorstellungen. Es gab manchmal einen Punkt, wo ich zum Beispiel fand jetzt muss ich sehen, wie er ihr den Kopf zertrümmert. Und mein Kameramann fragte, warum musst du das, schwenk doch weg oder schneide den Film früher weg. Oder ich dreh dir stattdessen was anderes. Ich schaute mir das dann an und mir gefiel das nicht, weil ich mich da als mutlos und feige empfand. Ich musste mir dann hinterher anhören, dass ich zu weit gehe mit der Gewalt oder sie zu sehr feiere. Was ich aber nicht tue. Es gibt einen Punkt, da empfindet jeder anders, aber als Regisseur muss ich nach meinem eigenen Empfinden gehen.
Wie wichtig war für Ihre Entscheidung, das Leben in der Originalkneipe „Goldener Handschuh“ zusammen mit dem Buchautor Heinz Strunk erlebt zu haben?
Ich glaube, ich hätte den Film nicht gemacht, wenn es diesen einen Abend mit Heinz Strunk nicht gegeben hätte. Es war vor allem die Begegnung mit einer Frau. Es war ein Mittwochabend, und da war eine ältere Dame, irgendwas zwischen 60 und 70, mehr 70 als 60, eine Säuferin, die hat sich an mich rangemacht. Ich habe sie dann gefragt, wer bist du, was machst du und sie hat mir erzählt, dass sie verheiratet war und ihr Mann sie nach 40 Jahren verlassen hat. Ihre Kinder sind aus dem Haus, sie weiß nicht, was sie machen soll, früher hat sie bei „Hertie“ gearbeitet und jetzt versäuft sie ihre Rente. Das hat mich doch ganz schön berührt.
Wie kann man sich in eine solche Person und so ein Milieu, von dem historisch in Archiven nicht viel überliefert ist und das vom Zeitgeist längst überholt ist, reinfühlen und reindenken?
Ich geh’ zehnmal in die Kneipe, nicht unerkannt natürlich, dafür bin ich zu bekannt, und die Kneipe ist dafür zu klein. Aber ich war da viel, zehnmal mit Sicherheit, und habe alles auf mich wirken lassen.
Gewinnt man die Kneipe danach sogar irgendwie lieb?
Unbedingt. Ich geh’ da gerne hin. Das Problem ist, es ist eine Feierkneipe, eine richtige Ballerbude. Und das Ding ist halt, dass ich nicht mehr die Kondition und die Kraft habe um da mitzuhalten. Ich habe aufgehört zu rauchen, und was mich viel mehr fertig macht als das ganze Feuerwasser dort ist die Raucherei, der ganze Rauch, den ich passiv einatme. Das schaffe ich nicht mehr. Ein Abend in so einem Laden und ich bin eine Woche erledigt. Ich bin dann auch sofort krank.
Ihnen werden ja laufend Ideen und Bücher für neue Projekte unterbreitet, was ist für Ihre Entscheidung am wichtigsten?
Die Hauptfigur, immer die Hauptfigur.
Honka ist Ihr 17. Spielfilm, dazu kommen Dokumentar- und Kurzfilme, sind sie Workaholic?
Ich arbeite gerne. Ich bin aber auch gerne faul. Ich träume davon, irgendwann doch noch mal einen Beruf zu haben, wo ich mein Geld damit verdienen kann, Filme zu gucken, statt sie selber zu machen: Ich nehme mir einen Haufen Filme, lege mich auf die Couch und gucke mir die alle an. Wenn ich davon Leben könnte, das zu beurteilen, was ich lese, höre und was ich gucke, das wäre ein Traumjob.
Das klingt nach Koketterie, Sie sind doch viel zu sehr leidenschaftlicher Filmemacher.
Im Moment ja, noch. Aber ich genieße doch sehr, auf der Couch zu liegen und Filme zu gucken. Oder ein Buch zu lesen.
Zählen Sie eigentlich noch mit, wie viele Preise und Auszeichnungen Sie bekommen haben?
Nee, ich habe keine Ahnung.
Wie wichtig sind Ihnen solche Ehrungen?
Ich glaube, die Ehrungen und Preise sind für mein Umfeld und Menschen, die mich beobachten wichtiger als für mich selber. Inzwischen bin ich reif genug zu wissen, dass nicht alles Gold ist, was glänzt.
Erhöht das den Druck?
Das ist ein Druck und ich spüre den auch, aber im Grunde ist der mir eigentlich egal. Ich glaube, ich weiß, wann ich einen Film versenkt habe. Zum Beispiel der Handschuh: Ich habe keine Ahnung, wer den anschaut. Vielleicht guckt den niemand. Vielleicht kriegt der auch nur auf die Mütze, weil er zu brutal ist. Vielleicht gilt er dann als großer Flop. Aber es gab etwas, was ich künstlerisch schaffen und erreichen wollte. Und die ist mir gelungen. Das weiß ich. Und das kann mir keiner nehmen.
Wie gehen Sie mit Enttäuschungen um, wenn mal ein Film nicht nominiert wird oder keinen Preis gewinnt?
Das ist eine Enttäuschung, das ist doch klar. Es ist immer ein bisschen wie verprügelt werden. Aber man steht wieder auf.
Sie hatten zwischendurch einen Lehrauftrag an der Hochschule und haben Dokumentarfilme gedreht, waren das nur Episoden oder haben Sie da Feuer gefangen?
Ich habe es mit dem Unterrichten ausprobiert, aber ich glaube das ist nichts für mich. Wenn man unterrichten will, muss man sich wirklich damit auseinandersetzen, was die Studenten machen. Und ich fürchte, wenn‘s hart auf hart kommt, würde mich das nicht interessieren, sondern mehr, was ich selber mache, weil ich einfach ein Macher bin. Deswegen produziere ich ja auch nicht. Es fällt mir schwer, mich auf die Sachen von anderen in der „Mache“ einzulassen. Gucken tue ich das wahnsinnig gern, aber das zu bewerten und Tipps zu geben, das ist nicht meine Sache. Dokumentarfilme mache ich gerne, die werde ich früher oder später wieder machen, wenn ich das richtige Sujet dafür habe.
Warum sind Sie Hamburg so treu und drängen nicht nach Berlin oder sogar nach Los Angeles?
Das ist reiner Pragmatismus. Schließlich habe ich ja zwei Kinder und eine Frau, und die sind ja auch verankert hier. Familie ist immer auch eine Demokratie. Da kann ich nicht sagen auf die Plätze fertig los, wir fahren jetzt nach Malibu.
Wie wichtig ist Hamburg als Biotop oder Humus für Sie in Ihrer künstlerischen Arbeit?
Ich glaube, es ist austauschbar. Ich liebe Hamburg, aber ich bin jetzt nicht so patriotisch dass ich denke ey, ich will jetzt immer hier bleiben. Ich träume davon, irgendwann noch mal woanders zu leben, wo das Wetter besser ist.
Schon während seiner Schulzeit schrieb der 1973 in Hamburg-Altona geborene Sohn türkischer Gastarbeiter seine ersten Kurzgeschichten und kleine Drehbücher. Nach seinem Studium an der Hamburger Hochschule für bildende Künste brachte Fatih Akin 1998 seinen ersten Spielfilm „Kurz und schmerzlos“ in die Kinos. Seitdem wird der Regisseur, Drehbuchautor und Produzent für seine Arbeiten mit Preisen und Ehrungen überhäuft, 24 sind es nach einer Auflistung bei Wikipedia inzwischen. Zu den wichtigsten Auszeichnungen gehörten 2004 der „Goldene Bär“, der Deutsche Filmpreis und der Europäische Filmpreis für „Gegen die Wand“. Für seinen letzten Film „Aus dem Nichts“, der die rechtsradikalen NSU-Morde thematisiert, wurde Hauptdarstellerin Diane Kruger 2017 in Cannes mit dem Darstellerpreis ausgezeichnet. Akin erhielt für den Film 2018 unter anderem den Golden Globe für den besten nicht-englischsprachigen Film. Sein „Goldener Handschuh“ polarisierter auf der Berlinale bei Kritikern und Publikum. Offizieller Kinostart ist am Donnerstag 21. Februar.
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