
Es ist schon hart, wenn sich ein Hamburger voller Liebe zu seiner Stadt bekennt und zugleich als Fußball-Fan des verfeindeten Nachbarn Werder Bremen outet, gerade in den schweren Wochen des Abstiegskampfes. Volker Lechtenbrink (73) sieht das etwas anders. „Da muss man drüber stehen“, sagt er bei einem Glas frisch gepressten Orangensafts im Literaturhauscafé und freut sich diebisch.
Denn die Stadt an der Weser spielt für den Hamburger durchaus eine wichtige Rolle im Leben. Nach seiner Geburt in Ostpreußen ging es schnell dorthin. „Ich habe zwar 30 Jahre die Vertriebenen-Zeitung bekommen, mit der Anrede 'lieber Landsmann', aber nach zehn Tagen bin ich geflohen worden“, sagt er und grient dabei wieder wie ein kleiner frecher Junge.
Seine ersten sieben Kindheitsjahre verbrachte er in Bremen. Gern denkt er an die Zeit zurück, obwohl Mutter und Vater hart arbeiten mussten. Aber da waren ja noch Oma und Opa: „Der hat mit mir so viele Spiele gespielt, Drachen gebaut oder Flöten aus Weideholz geschnitten. Immer wenn ich Opi brauchte, war er da. Und Oma hat gekocht wie eine Göttin.“
Und dann der Fußball. „Ich bin mit meinem Vater jeden Sonnabend auf’n Platz gegangen, wenn Werder gespielt hat, das geht einfach nicht mehr aus einem raus“, sagt er. „Aber meine Heimatstadt ist Hamburg. Alles, was schön ist in diesem Leben, meine schönsten privaten Zeiten, habe ich hier in Hamburg erfahren.“
Hier legte er auch den Grundstein für seine künstlerische Karriere als Schauspieler, Regisseur, Sänger und Liedermacher. Er spielte in München, Köln, Hannover, er arbeitete mit Größen wie Hildegard Knef, Hansjörg Felmy oder Bernhard Wicki, aber das Ernst-Deutsch-Theater wurde so etwas wie seine Hausbühne.
„Gib die Dinge der Jugend mit Grazie auf“, haben Sie Ihre Biografie vor einigen Jahren überschrieben. Bekam der Titel nach der schweren Operation Ende letzten Jahres eine neue Bedeutung für Sie?
Volker Lechtenbrink: Ach, ich denk eigentlich immer daran. Ich habe immer gewusst, dass das Leben nicht endlos ist. Und dass man froh sein soll über alles Schöne auf dieser Welt, das man erleben durfte. Mir fiel es deshalb auch nicht schwer, Dinge der Jugend mit Grazie aufzugeben.
Aber für eine fünfte Hochzeit hat es noch gereicht, das war vor fast zwei Jahren.
Das ist einfach Liebe. Wenn sie einen erwischt, dann erwischt sie einen eben. Manche heiraten nicht und sind nur liiert, andere bleiben ein Leben lang bei einem Menschen, das soll’s ja auch noch geben. Bei mir ist das eben anders.
Denken Sie viel über das Alter nach?
Man muss sich daran gewöhnen, dass das Alter in Interviews inzwischen ein Hauptthema ist. Alle reden darüber. Wie alt werden wir, wie erleben wir das, was bringt das Leben noch ...
Gehören Sie zu den Alten, die sich gern einreden, 70 sei das neue 50?
Ich gehöre zu denen, die sagen, dass man sich über jedes Jahr, das man lebt und erlebt, freuen soll. Die ihre Einschränkungen annehmen, wenn sie kommen, und nicht lamentierten und rumjammern, sondern sagen, da muss man jetzt durch.
Wie lange können Sie noch auf der Bühne stehen?
Das weiß ich noch nicht. So lange ich noch Texte lernen kann? Ich habe noch nie einen Hänger gehabt, aber ich gehöre auch nicht zu denen, die auf der Bühne sterben wollen. Ich möchte mir nicht meine eigene Legende kaputt machen, weil Leute irgendwann sagen, das hat er aber früher schon mal schöner gemacht.
Wenn man als personifizierter Hans Albers auf der Bühne stand, wie in „Große Freiheit Nr. 7“, hat man es dann als Schauspieler in Hamburg in besonderer Weise geschafft?
Wenn einem der Intendant das zutraut, in diesem Fall Ulli Waller, als wir irgendwann die Idee dazu hatten, ist das ein großer Vertrauensbeweis. Aber auch ein großes Risiko, weil es immer den Vergleich gibt, und Hans Albers ja praktisch auf der Bühne mitlebt während des Stücks. Man muss das jeden Abend aus dem Bewusstsein der Zuschauer wegspielen, damit die sagen, ich habe heute Volker Lechtenbrink gesehen und eben nicht Hans Albers.
Was bedeutet Hans Albers für Sie?
Er ist eine der Figuren, die ich irgendwie verehre und bewundere. Die Art, wie er sein Leben gelebt hat und relativ sauber durch die Nazi-Zeit gekommen ist . . .
Obwohl einige seiner Filme als Propagandafilme benutzt wurden?
Man muss sich ja immer fragen, wie man selber wohl durch diese Zeit gekommen wäre. Ich finde, er ist relativ sauber durchgekommen. Er hat Rollen gespielt, die nicht unbedingt Propagandarollen waren, und er hat keine reinen Propagandafilme gemacht wie manch andere große Schauspieler. Albers war ein Darsteller von so satten Männerrollen, mit viel Charme, Komik und auch Selbstironie. Das hat mir immer gefallen. Er ist aber nicht mein Ober-Idol, das ist immer Richard Burton gewesen. Da kriege ich mehr Gänsehaut.
Ist Ihr Respekt besonders groß, weil es wohl kaum ein typischeres Hamburger Stück geben kann?
Es ist schön, wenn man in der Stadt, wo man gut und gerne lebt, so eine Rolle spielen darf. Ich mag Hamburg einfach. Aber ich kann zum Beispiel dieses Hochschreiben zur Weltstadt nicht mehr gut ertragen. Eine Weltstadt ist man, ohne dass man groß darüber redet, oder man ist es nicht. Die wahre Grandezza liegt in der Bescheidenheit. Ich mag auch die Eventisierung nicht. Ich brauche ein bisschen Ruhe, an der Alster spazieren gehen oder an der Elbe, den Hafen anschauen, das alte Land. Das sind meine Hamburgensien.
Verfolgt Sie eigentlich Ihr legendärer erster Film „Die Brücke“ von 1959 mehr als Fluch oder als Segen?
Nur als Segen.
Nervt das nicht, immer wieder auf einen Film aus den letzten Kriegstagen und der Nazizeit angesprochen zu werden?
Nee, überhaupt nicht. Stellen Sie sich vor, mein erster Film wäre gewesen „In der Lederhose wird gejodelt“ und ich würde heute immer wieder danach gefragt werden. Das würde dann irgendwann nerven. „Die Brücke“ war ein „Sesam öffne Dich“, ich kam in eine Wunderwelt, ich kam nach Hollywood, Italien, Frankreich und hatte überall offene Türen.
Wie wichtig ist eigentlich Ihre Stimme, dieses besondere Timbre, für Ihren Erfolg als Schauspieler?
Ich denke, schon sehr wichtig. Viele sprechen mich darauf an. Eines der schönsten Erlebnisse war, als ich eines Tages beim Schlachter vor dem Tresen wartete, weil drei etwas ältere Damen vor mir dran waren. Aber die sagten dann, „Wir warten noch, bis Herr Lechtenbrink bestellt, wir hören seine Stimme so gern“. Das ist doch toll.
Sie haben großen Künstlern die Stimme geliehen, wie Kris Kristoffersen oder Dennis Quaid. Ist das was Besonderes?
Es gibt Künstler wie Frank Glaubrich, der auch in der „Brücke“ gespielt hat, die machen fast nur synchron, er spricht Al Pacino, Kevin Costner und diese ganz großen Hollywood-Leute. Das macht er großartig. Ich habe mein Synchron fast ganz gekappt, ich möchte nicht mehr in dieser Dunkelkammer sitzen. Man muss dafür ja immer auch was anderes aufgeben.
Sie haben erfolgreich Musik gemacht, Balladen gesungen und getextet – war Musik so etwas wie eine heimliche Sehnsucht?
Nee, ich wollte das damals gar nicht. Aber nach 15 Jahren jeden Abend Theater war ich müde, ich wollte mal eine Pause machen. Damals habe ich eines Nachts Kris Kristofferson gehört und gedacht, oh, ist das schön. Der hatte klasse Texte, über Alkohol, Ehebruch, Homosexualität, die es im deutschen Schlager überhaupt nicht gab, und ich wollte diese Texte übersetzen und eigene deutsche daraus machen. Aber ich wollte das nicht alleine machen und bin zu Knut Kiesewetter nach Friesland gefahren. Später haben wir Sänger gesucht, Schlagergrößen, Liedermacher, die angesagt waren, aber die hatten alle Schiss. Bis Knut irgendwann sagte: Du machst das. Da hab ich schweißnass im Studio gestanden. Danach kriegte ich immer mehr Lust und Spaß an der Tanzbranche, wie ich dazu immer sagte.
Beides hielt aber nicht lange.
Immerhin doch zwölf Jahre. Nach der ersten LP mit zwölf Liedern von Kristofferson und Texten von uns gratulierten mir immer mehr Leute und sagten: „Du bist in den Charts.“ Ich hatte gar keine Ahnung, was Charts überhaupt waren, das war für mich eine fremde Welt. Dann bot mir Polydor einen Drei-Jahres-Vertrag an. Bei der Summe dachte ich an einen Hörfehler, dafür hätte ich 20 Jahre Theater spielen müssen, um überhaupt in die Nähe zu kommen. Die Musikbranche hat mich damals gefesselt, ich habe viele Texte geschrieben, auch einige für Peter Maffay. Aber ich musste jedes Jahr ein Album machen oder eine CD, Und alles wurde immer mehr dem Markt angepasst, das war nix für mich.
Haben Sie jemals „Kullerpfirsich“ kennengelernt, das Lieblingsgetränk von Hans Albers?
Bei Hans Albers. Regisseur Hans-Jürgen Felmy hat mich mal mit in dessen Garderobe genommen. Da stand der Kullerpfirsich. Aber ich habe nichts davon getrunken. „Bist noch to jung, min Lütten“, hat Albers gesagt. Ich weiß nur, wie er gemixt wird: mit Rum, Sekt und einem angestochenen Pfirsich, der in einer großen Schale schwimmt.
Interview: Manfred Ertel
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