
17 Songs von David Bowie in 110 Minuten – das ist eine Basis, bei der wenig schief laufen kann. Denn eine Ikone wie Bowie geht irgendwie immer. Auch als Musical? „Lazarus“ hat der im Januar 2016 verstorbene Über-Pop-Künstler sein erstes und einziges Werk dieser Gattung betitelt, das kurz vor seinem Tod Premiere feierte und eine Art Anschluss an den Film „The Man who fell to Earth“ von 1976 (Regie: Nicolas Roeg) sein soll. Bowie spielte in dem Science Fiction-Streifen die Rolle des Außerirdischen Thomas Newton, der auf der Erde Wasser für seinen sterbenden Planeten auftreiben soll, dort aber in einen Strudel aus Verlockungen, zu denen auch die Liebe gehört, und Intrigen gerät. Erblindet und allein findet nicht mehr heim zu seinem Stern. Newton ist ein Verlorener.
Daran knüpft „Lazarus“ an, dessen Titel mit viel Bedeutung aufgeladen ist: Im Johannesevangelium erweckt Jesus den gleichnamigen Kranken, der zu seinen Anhängern gehörte, von den Toten. Auch in der Bremer Inszenierung des Musicals von Tom Ryser ist Lazarus (Martin Baum) offenkundig siech, aber sein Leiden ist rein psychischer Natur. Zu Beginn liegt er in einem weißen Krankenhausbett, im Hintergrund sind weiße Vorhänge zu sehen, auf denen sich die Schatten unterschiedlicher Gestalten tummeln. Sie werden im Laufe der folgenden knapp zwei Stunden das Geschehen bestimmen; was und wer real ist und was und wer nicht, ist nicht auszumachen. Eine ehemalige Geliebte, eine (eventuell) reale Assistentin samt Ehemann, die personifizierte Hoffnung als „Mädchen“, ein junges Paar, Go-Go-Girls und ein Bösewicht namens Valentine sind darunter. Das Leben ein einziger fieser Fieber-Traum.
„Lazarus“ flirtet also stark mit dem Surrealismus, ist vor allem textlich allerdings oft dünn gerührt, teilweise geradezu kryptisch – den Anspruch, alles verstehen zu wollen, sollte man besser aufgeben. Der irische Dramatiker Enda Walsh zeichnet für die oft platten Dialoge verantwortlich, die manchmal gefährlich nahe an Kalendersprüchen siedeln (deutsche Fassung: Peter Torberg) und zudem in ihrer Plapperhaftigkeit für eine gewisse Steifheit der Inszenierung sorgen. Das bekommt Gastregisseur Tom Ryser in seiner ersten Arbeit für das Theater Bremen bei der Premiere am Sonnabend trotz des spielfreudigen, spartenübergreifenden Ensembles nicht durchgehend in den Griff.
Aufgebrochen und wettgemacht wird dies durch andere Elemente dieser Inszenierung, das Bühnenbild, die Kostüme (beides: Stefan Riekhoff) und das Lichtkonzept (Christian Kemmermüller) gehören unbedingt dazu. Schwarz und weiß sind die Grundfarben, die Darsteller tummeln sich auf Treppenelementen im Hintergrund vor einem Sternenhimmel, farbige Neonröhren sorgen für Akzente, auch mal ein blaues Kleid, eine Blauhaar-Perücke oder ein rotes Hemd. Ein passendes Setting für die freche Choreografie von Lillian Stillwell, die MTV-Clips zitiert. Und manchmal auch den „Beatclub“, wenn die drei „Teenage Girls“ in weißen Hemden und roten Stiefelchen dran sind.
Das größte Pfund von „Lazarus“ sind aber natürlich die 17 Songs. Vier hat David Bowie eigens für das Stück geschrieben, darunter das Requiem-artige, starke Titelstück, zu finden auf seinem letzten Album „Blackstar“. Außerdem wird an entsprechend konditionierten Stellen eine ganze Reihe Hits aus allen Schaffensphasen Bowies eingestreut, was das Stück zu einer Art Best-of-Gala werden lässt. Die startet etwas verhalten, gewinnt im Laufe des Abends aber deutlich an Temperatur und Fahrt: „This is not America“, „Absolute Beginners“, „All the young Dudes“ sind zu hören. Das Ensemble schlägt sich gesanglich mehr als tapfer; immerhin sind hier keine Musical-Profis am Werk – etwas mehr Textverständlichkeit wäre allerdings schön, auch wenn vielen im Publikum die Songs bekannt sein dürften. Und auch die Abstimmung mit der siebenköpfigen, mal grandios rockenden, mal edel groovenden Band (musikalische Leitung: Yoel Gamzou) lässt immer wieder zu wünschen übrig. Die Musiker im auf der Bühne eingebetteten Orchestergraben sind teilweise so laut, dass sie die Sänger übertönen.
Stimmlich unschlagbar ist selbstredend Sopranistin Nerita Pokvytyté aus dem Musiktheaterensemble als „Mädchen“. Sie ist für die leiseren, eher minimalistisch arrangierten Songs verantwortlich und rührt beispielsweise mit einem wunderbar eindringlichen „Life on Mars“. Sie überzeugt zudem schauspielerisch mit mal verspielter, mal tragischer Note, und erstaunlich gelenkig ist Pokvytyté zudem. Alexander Angeletta kommt als Liebesmörder Valentine derart charismatisch über die Rampe, dass er dem nachdenklichen, erschöpften und desillusionierten Newton Martin Baums ein ums andere Mal die Show stiehlt. Claudia Renner hinterlässt bei ihrem ersten Engagement am Theater Bremen einen starken Eindruck als Assistentin Elly; auch gesanglich bei ihrer Version von „Changes“.
Zuletzt stirbt die Hoffnung und der sinnsuchende Außerirdische steigt zwar nicht in eine Rakete, erklimmt aber eine Himmelsleiter. Nicht allerdings, ohne vorher Bowies vielleicht größten Hit gesungen zu haben. Ob man den bitteren Verzweiflungsschrei „Heroes“ allerdings in dieser glattgebügelten, Eurovision-Songcontest-kompatiblen Version hören möchte, bleibt Geschmackssache. Viel Applaus, sehr viel für die Band.
Die Termine in dieser Spielzeit : 11., 14., 16., 20., 21. Juni um 19.30 Uhr; 24. Juni, 21 Uhr.
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