
Was wäre gewesen, wenn er auf dem Parteitag 1989 in Bremen Helmut Kohl bei der Wahl zum CDU-Vorsitzenden herausgefordert hätte? Stünde heute Lothar Späth als „Kanzler der Einheit“ in den Geschichtsbüchern? Lothar Späth zählte zu den Rastlosen in der Politik. Immer ein neuer Gedanke. Immer ein neues Projekt. So gelang dem Sohn eines Samenhändlers aus Sigmaringen ein schneller Aufstieg. Mit 28 Jahren war er Finanzreferent im badischen Bietigheim, zwei Jahre später Bürgermeister. 1968 zog er als CDU-Abgeordneter in den Landtag ein, vier Jahre später führte er die Fraktion. 1978 wurde er zum Ministerpräsidenten – als Nachfolger Hans Filbingers, der wegen seiner Nazi-Vergangenheit zurücktreten musste. Mit 40 Jahren war Späth der jüngste Regierungschef der Republik.
Dreimal sollte er als Zugpferd seiner Partei die absolute Mehrheit verteidigen. Dann musste auch er die Villa Reitzenstein, den Amtssitz des Ministerpräsidenten, vor Ablauf der Wahlperiode verlassen. „Cleverle“ nannten sie ihn mit einer Mischung aus Hoch- und Missachtung. Seine größte Stärke wurde ihm zum Verhängnis: die Nähe zur Wirtschaft. Er kannte sie alle, die wichtigen Unternehmer und Manager im Ländle. Einen kannte er zu gut: Helmut Lohr, Chef des Elektronik-Konzerns SEL.
Dass Späth sich von seinem Freund zu einem kostenlosen Urlaub in der Ägäis einladen ließ, war letztlich eben nicht so clever. Korrekt war es erst recht nicht, zumal SEL ohne Ausschreibung einen dicken Auftrag der Landesregierung erhalten hatte. Als Journalisten der Geschichte auf die Spur gekommen waren, gab es kein Halten mehr – zumal sie eine so schöne Schlagzeile hergab: „Traumschiff-Affäre“. Im Lauf des Jahres 1991 gab Späth erst den Job des Ministerpräsidenten auf, dann auch sein Landtagsmandat.
Damit war seine politische Karriere so gut wie beendet. Zehn Jahre später erinnerte sich Edmund Stoiber seiner. Der Kanzlerkandidat der Union machte ihn im Bundestagswahlkampf 2002 zum „Superminister“ für Wirtschaft, Arbeit und Aufbau Ost. Doch da der CSU-Chef gegen Gerhard Schröder verlor, wurde es für Späth nichts mit der Rückkehr in die Politik. Er blieb in der Wirtschaft, wo sein Ruf als Hans-Dampf-in-allen Gassen nicht gelitten hatte. Im Gegenteil. Mit 54 Jahren startete er noch einmal durch.
Nur wenige Monate nach seinem Rücktritt als Ministerpräsident war er von Stuttgart nach Jena umgezogen. Dem Ruf „Go East“ folgten damals auch andere Politiker und Manager, die im Westen nichts oder nichts mehr waren. Die Parteifreunde Kurt Biedenkopf und Bernhard Vogel wurden Ministerpräsidenten in Sachsen und Thüringen und zu politischen Legenden in ihren Ländern. Späth erwarb sich an der Spitze des ehemaligen VEB Carl Zeiss Jena keinen schlechteren Ruf.
Aus dem VEB machte er erst eine GmbH, dann eine Aktiengesellschaft und einen der wenigen DDR-Staatskonzerne, die im neuen Deutschland reüssierten. Späth wirbelte. Er übernahm den Vorsitz der Ostthüringer IHK, später wechselte er zu einer internationalen Investmentbank, übernahm lukrative Aufsichtsratsmandate. Und außerdem? „Er schwätzt und schwätz und schwätzt“, schrieb das Manager Magazin. Er moderierte eine Talkshow, schrieb 20 Bücher. Ausgefüllter konnte das Leben eines politischen Rentners kaum sein. Irgendwann ging nach mehr als 50 Jahren seine Ehe in die Brüche.
Das Verhältnis zu Helmut Kohl war auch im Alter nicht zu kitten. Zu schwer wog dessen Zorn, dass Späth sich zusammen mit Rita Süssmuth, Ernst Albrecht und Heiner Geißler gegen ihn verschworen hatte, weil sie den vor der Einheit in Westdeutschland immer weniger beliebten Kanzler nicht für den richtigen Kandidaten zur Bundestagswahl 1990 hielten.
Gescheitert ist der Putsch ausgerechnet an der Wirtschaft. In einem Interview erinnerte sich Geißler kürzlich: „Er ist zur Deutschen Bank, ich will nicht sagen zitiert worden, aber jedenfalls war er dort. Die Banker haben ihm gesagt: Kohl soll bleiben“. Im Alter von 78 Jahren ist Lothar Späth in einem Pflegeheim bei Stuttgart gestorben.
Die gescheiterte Revolte
Der WESER-KURIER kommentierte am 14. September 1989 das Schicksal von Lothar Späth beim 37. Bundesparteitag der CDU in Bremen:
„Aus dem siebten Himmel der Parteihierarchie gefallen.“ Der baden-württembergische Ministerpräsident war von den Delegierten überraschend aus dem Parteipräsidium gewählt worden. Er erhielt nur 357 von 731 Stimmen. Er, das „Cleverle“, der in Zeiten der Schwäche der CDU bei den Landtagswahlen in seinem Bundesland die absolute Mehrheit der Partei verteidigt hatte. Und das dreimal: 1980, 1984, 1988. Die Delegierten aus Baden-Württemberg waren fassungslos. Pfiffe begleiteten die Verlesung des Wahlergebnisses. Dies könne der „Anfang vom Abschied aus der Politik“ für Lothar Späth sein, orakelte die „Zeit“.
Was war passiert? Lothar Späth hatte versucht, sich gegen Parteichef und Kanzler Helmut Kohl zu stellen und war gescheitert. Kurz vor dem Parteitag in Bremen war bekannt geworden, dass Kohl den langjährigen Generalsekretär Heiner Geißler nicht erneut für diesen Posten vorschlagen würde. Eine Entscheidung, die bei der Parteibasis für große Empörung sorgte. Um Geißler sammelte sich daraufhin eine kleine Gruppe von parteiinternen Kohl-Kritikern: Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht, Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth – und Lothar Späth.
Doch der Putschversuch gegen den Parteichef sei stümperhaft gewesen, schrieb der „Spiegel“: „Amateure hatten gegen einen Altmeister des Fachs konspiriert.“ Die Vierergruppe habe zu viel geredet und zu wenig geplant. Sie versuchte vergeblich, den nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden Norbert Blüm auf ihre Seite zu ziehen. Lothar Späth äußerte sich in Interviews allzu offen zu den Putsch-Plänen. Zudem seien die vier Politiker bis auf ihr Nein zu Kohl zu verschieden gewesen, urteilte der „Spiegel“. Sie präsentierten keinen Gegenkandidaten, sie zögerten, und einer nach dem anderen verlor den Mut. Auf der Präsidiumssitzung eine Woche vor dem Parteitag verpufften die letzten Reste der „Revolte“.
Bei dem Treffen vom 11. bis 13. September in der Stadthalle in Bremen waren dann alle potenziellen Putschisten wieder auf Kohl-Kurs. Volker Rühe wurde Heiner Geißlers Nachfolger als Generalsekretär. Ein paar Delegierte machten ihrem Ärger darüber Luft, doch dabei blieb es. Geißler bewarb sich um einen der sieben Posten als stellvertretender Vorsitzender – genau wie Lothar Späth. „Es ist ausdiskutiert“, sagte Späth in seiner Rede. „In dieser neuen Formation gehen wir wieder an die Arbeit. So kann etwas ausgeräumt werden.“
Dann kam der Paukenschlag. Späths Wiederwahl zum stellvertretenden Vorsitzenden scheiterte mit einem beschämend niedrigen Stimmenergebnis. Die Partei habe ihn für seine fehlende Solidarität bestraft, sagte damals der Bremer CDU-Landesvorsitzende Bernd Neumann dem WESER-KURIER. Andere waren der Ansicht, das Einknicken gegenüber Kohl sei der Grund für Späths Abwahl gewesen. „Wer eine Revolution anzettelt, muss diese auch gewinnen“, meinte CDU-Fraktionschef Reinhard Metz. Lothar Späth hat in Bremen eine große Niederlage erlitten. Er verabschiedete sich vom Parteitag mit der Ankündigung eines eigenständigeren Kurses im Bundesrat und dem Versprechen, auch in Zukunft immer seine Meinung zu sagen.
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