
Russland koppelt sich vom weltweiten Netz ab. Mit dem 1. November ist ein Gesetz in Kraft getreten, das ein eigenständiges Internet unter kompletter Staatskontrolle stellen soll. Offizielle Begründung für diesen Schritt: Russland könne sich so besser gegen Cyberattacken wehren und wäre zudem autark, falls zum Beispiel die USA die russischen Internetverbindungen kappen sollte. Angesichts der geopolitischen Lage mag die geplante Abschottung tatsächlich eine präventive Maßnahmen sein, doch das ist nur die halbe Wahrheit.
Noch ist das Internet ein relativer Hort der Freiheit im Reich von Präsident Wladimir Putin. Oppositionspolitiker wie Alexej Nawalny nutzen Messenger-Dienste, um zu Protestaktionen aufzurufen; Kreml-kritische Musiker wie die experimentelle elektronische Band IC3PEAK sind auf Youtube zu hören; Filme, die in Russland keine Kinolizenz bekommen haben, können über ausländische Portale aufgerufen werden.
Doch damit soll jetzt Schluss sein. Die Medien-Aufsichtsbehörde Roskomnadsor soll künftig das Internet über eine eigene Zentrale steuern. Sie ist dann dafür verantwortlich, unliebsame Seiten direkt zu sperren. Das „Staatsnetz“ soll über Server und Knotenpunkte im eigenen Land gelenkt werden. Es geht dem Kreml offenbar nicht nur um Zensur, sondern auch um die Beherrschung der Infrastruktur.
Flankiert werden die rigiden Durchgriffsrechte für Roskomnadsor mit einem Bündel neuer Gesetze, die erst in diesem Jahr vom Parlament abgesegnet wurden. Sie verbieten die Verbreitung von „Falschnachrichten“ sowie Respektlosigkeiten gegenüber Amtsträgern und Staatssymbolen. Mit Hilfe dieser Gesetze werden Menschen bestraft, weil sie etwa kritische Rockbands hören, die Annexion der Krim kritisieren oder sich über die russisch-orthodoxe Kirche lustig machen.
Die Gesetze sind betont vage formuliert. Offenbar sollen sich die rund 90 Millionen russischen Internet-Nutzer stärker überwacht fühlen. Das Kalkül im Kreml: Wer Angst hat, traut sich weniger, seine Meinung im Netz offen kund zu tun. Bereits seit Jahren gibt es eine schwarze Liste mit angeblich rund 160.000 blockierten Internet-Seiten.
Für Autokraten vom Schlage Putins ist das Internet Fluch und Segen zugleich. Staatlich gelenkte Propagandasender wie RT (ehemals Russia Today) oder Sputnik können mit Hilfe des Internets ihre Sicht der Dinge weltweit verbreiten, durch den Einsatz von Bots (Programme, die in sozialen Netzwerken menschliche Verhaltensmuster simulieren) lassen sich Wahlkämpfe in anderen Ländern beeinflussen, wie 2016 in den USA geschehen.
Andererseits lässt sich das Internet schwer kontrollieren. Doch die Freiräume im globalen Netz werden kleiner. Das US-Forschungsinstitut Freedom House hat in seinem Report „Freedom on the Net 2018“ in 26 von 65 untersuchten Ländern eine Verschlechterung festgestellt. Der Report kritisiert unter anderem Georgien, Nigeria, Kuba, Iran und Syrien dafür, dass die digitale Technologie für Zensur, Überwachung und Propaganda missbraucht wird.
Bei Freedom House steht China ganz oben auf der Negativliste. So geht Peking gegen ausländische Medien vor und sperrt deren Seiten für den chinesischen Markt. Betroffen waren unter anderem die Online-Auftritte von „FAZ“, „Spiegel“, „Guardian“ und „Washington Post“. Mutmaßliche Verfehlung dieser Medien waren Berichte über die anhaltenden Proteste in Hongkong.
Was China aber besonders macht: Nirgendwo sonst auf der Welt wird das Internet derart massiv und raffiniert eingesetzt, um die eigenen Bürger zu disziplinieren und zu überwachen. Mit dem sogenannten Sozialkredit hat das Land ein Ratingsystem eingeführt, um das soziale und politische Verhalten von Personen, Unternehmen und Organisationen zu benoten. In diesem Programm sind staatliche und private Datenbanken integriert, die Informationen über Zahlungsmoral, Strafregister und soziales Verhalten sammeln. Wer ein gutes Rating aufweist, wird bei staatlichen Leistungen bevorzugt, zum Beispiel bekommt die Person schneller ein Reisevisum. Wer nur wenige Sozialpunkte hat, dem drohen Sanktionen. Für diesen Kreis gibt es keine Zugtickets und auch mit dem beruflichem Aufstieg sieht es schlecht aus.
Die aktuelle Entwicklung im Reich der Mitte erinnert erschreckend an George Orwells Science-Ficton-Thriller „1984“. China steuert geradewegs in die Big Data-Diktatur. Und es würde nicht sonderlich überraschen, wenn Moskau das chinesische Experiment mit großem Interesse verfolgt.
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