
Wenn die Kirschen in Blüte stehen, packt Steve Murray (62) die Unruhe. Der Gründer der „Murray Family Farms“ am südlichen Tor zum „Central Valley“ in Kalifornien steht dann vor der Aufgabe, die Pflücker anzuheuern, die binnen zweier Wochen bis zu zwei Millionen Pfund Kirschen von den Bäumen holen müssen.
„Wir brauchen 600 bis 800 Leute, die wissen, was sie tun“, beschreibt Murray die Herausforderung, zuverlässige Arbeiter zu finden. Als er Anfang der 80er-Jahre das fruchtbare Land in „Kern County“ erwarb, war das noch anders. „Ein Telefonat und ich hatte am nächsten Morgen die Leute vor der Tür stehen.“
So gut wie alle Pflücker kommen bis heute von der anderen Seite der Grenze in Mexiko. Doch von Jahr zu Jahr folgten weniger „Braceros“, wie die Wanderarbeiter heißen, dem Ruf aus dem Norden. Grund dafür sind der Geburtenrückgang und die bessere Wirtschaftslage im Nachbarland, aber auch die immer undurchlässigere Grenze. Warum er in einer Region, die von doppelt so hoher Arbeitslosigkeit geplagt wird wie der Rest der USA, keine Einheimischen findet? Murray lacht. „Amerikaner machen solche Jobs nicht“.
"Er verhält sich sehr gemein"
Dabei kann sich der Verdienst von mehr als 200 Dollar am Tag durchaus sehen lassen. Aber das ist nicht genug, Arbeitswillige aus dem Rostgürtel oder anderen strukturschwachen Regionen der USA anzulocken. „Kein Mexikaner nimmt irgendjemandem die Arbeit weg“, schwört Farmer Murray. Das ist die Realität im Central Valley, das sich von Bakersfield im Süden bis hoch nach Redding in den Norden Kaliforniens erstreckt. Hier wächst etwa die Hälfte aller Früchte und des Gemüses, das in den USA geerntet wird.
In diesem Jahr mischt sich unter die Nervosität der Farmer handfester Ärger über Präsident Donald Trump, der die vorhandenen Probleme seit Amtsantritt weiter verschärft hat. Seine Einwanderungspolitik verbreitet unter den „Braceros“ Angst und Schrecken. Nicht nur bei Murray, sondern überall im „Garten Amerikas“, dessen Agrarwirtschaft jedes Jahr Früchte und Gemüse für rund 50 Milliarden Dollar produziert. „Er verhält sich sehr gemein“, klagt Murray über die Unsicherheit, die der Präsident mit seiner Drohung von Massen-Deportationen unter den rund elf Millionen „Illegalen“, wie Trump sie nennt, in den USA verbreitet.
„Wenn sie verstehen, was hier passiert, müssen sie das als Angriff aufnehmen.“ Im Central Valley haben nach Schätzungen der University of California in Davis mindestens 70 Prozent der Farmarbeiter keinen legalen Aufenthaltsstatus. Sie füllen die Früchte- und Gemüsekisten Amerikas in der ständigen Gefahr, von Trumps Einwanderungspolizei ICE verhaftet und ausgewiesen zu werden.
Angst, von den Kindern getrennt zu werden
Zum Beispiel Carina Lopez*, die seit siebzehn Jahren Arbeiten erledigt, für die Farmer in „Kern County“ keine Einheimischen finden. „Was habe ich falsch gemacht?“, fragt die 38-jährige Mutter von vier Kindern, die sich durch Trump „wie eine Kriminelle“ behandelt fühlt. Dabei kam sie aus dem gleichen Grund in das Central Valley wie die ersten Farmer aus Europa, die das fruchtbare Land am Fuße der Sierra Nevada bestellten. Durch harte Arbeit versucht die aus dem mexikanischen Bundesstaat Oaxaca stammende Carina, ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen.
„Meine größte Angst besteht darin, von meinen Kindern getrennt zu werden“, verrät die Feldarbeiterin, was sie nachts um den Schlaf bringt. Die dunklen Ringe unter den Augen lassen erahnen, was die alleinerziehende Mutter durchmacht. Ihrer ältesten Tochter Maria (14) hat sie einen Notfallplan gegeben, „falls ich von der Arbeit nicht mehr nach Hause komme“. Bevor sie und ihre drei jüngeren in den USA geborenen Geschwister von den Behörden ins Kinderheim gesteckt werden, soll sie einen „legalen“ Onkel in Los Angeles anrufen.
Der hat versprochen, sich um sie zu kümmern. Carina hat das Gefühl, die Falten in ihrem von der Sonne gegerbten Gesicht seien in den vergangenen Monaten ein wenig tiefer geworden. Die roten Flecken am Hals bildet sie sich garantiert nicht ein. Wie auch nicht die Migräneanfälle, die sie immer häufiger plagen. „Wir fühlen uns alle unter Druck gesetzt“, erzählt die Erntehelferin von den Sorgen ihrer Kollegen, die wie sie unnötige Autofahrten, Einkäufe oder Kirchgänge vermeiden und niemandem mehr über den Weg trauen.
Einwanderungsexperte glaubt nicht an Taten
Der Einwanderungsexperte von der University of California in Los Angeles, Gaspar Rivera Salagado, schätzt die Zahl der von Abschiebung bedrohten Arbeiter im Central Valley auf rund 300.000 Menschen. Wegen der wirtschaftlichen Bedeutung der milliardenschweren Agrarindustrie glaubt der Migrations-Forscher nicht, dass Trump seinen starken Worten im großen Stil Taten folgen lässt.
„Politisch und ökonomisch wären die Konsequenzen einer Massendeportation nicht durchzuhalten“, sagt Salagado. Das überlebten die Farmer im Central Valley nicht. Der Professor rechnet eher mit der Ausweitung des „H2A“-Gastarbeiter-Programms, auf das die mächtige Lobby der Farmer drängt. Mit dem Chef der Western Growers Association, Tom Nassif, hat diese einen Fürsprecher im Wirtschaftsrat des Weißen Hauses sitzen. Obwohl schon zu Beginn der Saison ein Viertel weniger Arbeiter auftauchten als im Vorjahr, versucht Nassif die Nerven zu beruhigen. „Ich denke, es gibt weniger Anlass, sich Sorgen zu machen, als die meisten glauben.“
Diese Versicherung erhielt auch Jeff Rasmussen, der die Interessen der Farmer von „Kern County“ vertritt. Die großen Wahltafeln, die von der Straße immer noch auf den Feldern zu sehen sind, zeugen von der Unterstützung, die Trump hier genoss. Die konservativen Farmer dachten, der Kandidat meinte es mit Mauerbau und Massendeportation nicht so, sondern werde wie Ronald Reagan Steuern senken und Bürokratie abbauen.
Unsicherheit wirkt wie ein Gift
Rasmussen erzählt im Farmbüro von Bakersfield, wie ihm die Vertreter der Einwanderungspolizei ICE vor Ort versicherten, es ginge nur darum, Kriminelle abzuschieben. Doch wer gehört dazu, wenn die illegale Einreise selbst schon als Straftat gewertet wird? Darauf konnten selbst die Mitarbeiter des örtlichen Kongressabgeordneten und Nummer Zwei der Republikaner im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, Rasmussen keine Antwort geben. „Es ist unverantwortlich, dass wir nicht wissen, was die tatsächliche Politik ist“, ventiliert der sonst eher bedächtige Chef des Farmbüros seinen Frust.
Von seinem eigenen Betrieb weiß Rasmussen, wie schwierig es ohnehin schon ist, „eine Arbeiterschaft an sich zu binden, die da ist, wenn sie gebraucht wird“. Unsicherheit wirke in dieser Situation wie Gift. Der Chef des Farmbüros übt mit den nicht dokumentierten Arbeitern den Schulterschluss. Und fühlt sich für diese so verantwortlich wie für den wirtschaftlichen Erfolg der Mitglieder seiner Organisation. „Wir werden mit lauter Stimme sprechen“, sagt Rasmussen und droht Richtung Washington, „falls die nicht hinhören, werden wir eine andere Sprache sprechen“.
Die Politologin Jeanine Kraybill von der University of California in Bakersfield glaubt, die Farmer hielten einen Hebel in der Hand. „Diese Region ernährt die Nation“. Abschiebungen im großen Stil hätten gewaltige Konsequenzen. Mindestens brächte dies einen Produktionsrückgang und damit verbunden deutliche höhere Preise in den Frischwaren-Abteilungen der Supermärkte.
Mehr zahlen als die Konkurrenz
Kraybill gibt zu bedenken, wie wenig berechenbar Trump sich bei anderen Entscheidungen verhielt. Seine Prioritäten müssten nicht mit denen der Farmer im Central Valley konform gehen. „Kommt es zu Massendeportationen, werden viele Betriebe in die Knie gehen“, fürchtet Kraybill. „Anschließend lässt sich das dann nicht mehr korrigieren.“
Farmer Murray kann sich eine ausgefallene Saison auf keinen Fall leisten. „Daswürde es für uns sehr schwer machen“, sagt der findige Unternehmer, der sein Geschäft diversifizierte, um es vor allen möglichen Krisen zu schützen. Murray verlässt sich nicht nur auf das internationale Großkunden-Geschäft, sondern vermarktet seine organisch angebauten Früchte auch direkt auf 18 Farmers-Märkten in den USA und auch an Selbstabholer. Als die Dürre in Kalifornien die Wasserversorgung infrage stellte, investierte er in Agrartourismus. Und um Arbeitskräfte zu binden, zahlt er mehr als die Konkurrenz.
Jeder Tag Verzögerung treibt den Erlös bergab
Kurz vor der Kirschernte in diesem Jahr liegen Murrays Nerven wegen einer völlig vermeidbaren Situation jedenfalls vollkommen blank. Durch seinen Kopf spukt die Sorge vor Razzien der Einwanderungspolizei, die seine mühsam angeheuerten Arbeiter abschrecken könnten, zur Ernte zu kommen.
Schon so kostet Trumps Einwanderungspolitik Murray bares Geld. Denn bei der Kirschernte kommt es auf Schnelligkeit an. „Je früher die Früchte auf dem Markt sind, desto höher der Preis“. Mit jedem Tag Verzögerung ginge es mit dem Erlös steil bergab. Da Murray schon jetzt nicht mehr genügend „Braceros“ findet, rechnet er mit Verlusten. „Die Wahrheit ist, dass es keine Alternative zu diesen Arbeitern gibt.“ Wenn der Albtraum des Farmers wahr wird, und statt 600 Leuten plötzlich niemand mehr auftaucht? Murray muss nicht lange überlegen. „Dann verfaulen die Kirschen und wir können dichtmachen.“
*Name von der Redaktion geändert
job4u ist die regionale Plattform, wenn es um Lehren und Lernen geht. Neben dem WESER-KURIER, der Handelskammer und der Handwerkskammer Bremen machen sich hiesige Firmen für junge Leute stark.
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