
Geschrieben hat er ihn bereits 1946, doch auch 74 Jahre später ist „Die Pest“ von Albert Camus keine angestaubte Schullektüre. Wer den Roman liest, stellt fest: Die Mechanismen einer Seuche, sei es nun die Pest oder das Coronavirus, sind immer die gleichen. Da ist die Zeit des Leugnens und Zögerns, dann des Erschreckens und schließlich der Einsicht, dass es lange dauern wird und alle gesellschaftlichen Kräfte sowie eine überlegt handelnde politische Führung braucht, um diese Krise zu überwinden. In dieser Phase sind wir jetzt. Die Debatten drehen sich nur noch um eines: Wann hören die Verbote endlich auf? Im Roman findet sich der Satz: „Wie hätten sie (die Menschen) an die Pest denken sollen, die Zukunft, Ortsveränderungen und Diskussionen aufhebt? Sie hielten sich für frei, aber niemand wird je frei sein, solange es Plagen gibt.“
Über Freiheit und Unfreiheit wird gerade viel gesprochen. Das ist nicht verwunderlich in einer Zeit, in der Grundrechte zum Teil massiv eingeschränkt werden. Doch diese in der Tat notwendige Debatte ist nicht gemeint; es geht um das, was den politisch Verantwortlichen gerade von einem sehr heterogenen Protest-„Bündnis“ unterstellt wird. Nämlich: Dass sie „den Willen des Volkes unterdrücken“ und die Demokratie „abschaffen“ würden. Und dass sie dafür die Corona-Pandemie instrumentalisieren.
Allein dass diese Proteste von Rechten und ganz Rechten, von Linken, Christen, Impfgegnern und Verschwörungstheoretikern als „Hygiene-Demos“ bezeichnet werden, ist unsäglich. Auch von „Volkspädagogik“ ist die Rede, die Bürger sollten „auf Linie gebracht“ werden. Was hier mitschwingt, ist die Sprache des Nationalsozialismus. Ein gleichgeschaltetes Deutschland wird suggeriert, ein Land, das den Coronavirus nur benutzt, um die Menschen „ruhigzustellen“. Sogar eine neue Partei hat sich gebildet, die sich „Widerstand 2020“ nennt und eine „wahrhaftige Demokratie“ verspricht.
Ja, zu erleben ist gerade die Zeit der Exekutive, nicht die der Parlamente. Aber bedeutet das die Aufgabe ihrer Kontrollfunktion? Nein, die politische Debatte war zu jeder Zeit kritisch, der Rechtsstaat stand nie zur Disposition. Und betont werden muss auch, dass die politische Führung bei ihren Entscheidungen bisher auf den Rückhalt der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung setzen kann. Was wir im März, April erlebt haben, war keine Entmachtung des Volkes. Niemand kann das besser in Worte fassen als Herta Müller. Die Literaturnobelpreisträgerin hat in Rumänien die Diktatur unter Nicolae Ceausescu erlebt. Vehement widerspricht sie, wenn der Vorwurf laut wird, die Regierung nutze Corona als ein Mittel zur Gleichschaltung. „Wir sind nicht unfrei im politischen Sinne“, sagte sie kürzlich im ZDF. Die äußeren Umstände hätten „keine Regierung, kein Politiker und keine Behörde bestimmt, sondern es ist ein Unglück.“
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