
Würde man regelmäßig einen Menschen auszeichnen, der besonders viel für die Zustimmung zum Projekt Brexit geleistet hat, so hieße diese Person derzeit Ursula von der Leyen. Die EU-Kommissionschefin als Brexiteer des Monats? Tatsächlich fällt es gerade selbst den überzeugtesten Europafreunden auf der Insel schwer, das Impfstoff-Management auf dem Kontinent zu verteidigen.
Drohungen, Warnungen, Beschuldigungen – seit Tagen verschärfen sich der Spannungen zwischen der EU und Großbritannien. Im Kern wirft die EU den Briten vor, selbst keine Impfstoffe zu exportieren, dafür aber bereitwillig Lieferungen aus EU-Mitgliedstaaten zu nutzen. An diesem Donnerstag könnte der Streit vollends eskalieren. Auf dem Gipfel will die Union entscheiden, ob sie Exportbeschränkungen für Impfstoffe oder deren Komponenten verhängt, wie von der Leyen angedeutet hat.
Solche Maßnahmen würden auch das Königreich schwer treffen und könnten den Fortschritt der Kampagne um Wochen zurückwerfen. Millionen von importierten Vakzinen wurden bereits verabreicht – und sind essenziell für den weiteren Erfolg des Programms. So erhielten die Briten zwischen Ende Januar und Mitte März rund zehn Millionen Dosen des Biontech-Pfizer-Mittels, sie machten in jenem Zeitraum zwei Drittel aller Impfungen auf der Insel aus. Mittlerweile haben rund 54 Prozent der erwachsenen Bevölkerung die erste Dosis erhalten.
Während man in der Downing Street diese Woche ungewohnt versöhnliche Töne anstimmt und Premierminister Boris Johnson das Gespräch mit europäischen Regierungschefs sucht, ist EU-skeptischen Politikern wie auch der Presse das Gezerre um die Vakzine hochwillkommen. Angetrieben vom eigenen Triumph ätzen die Hardliner genüsslich in Richtung Kontinent. Kann es eine bessere Werbung für den Brexit geben?
Die Botschaft der Brexit-Anhänger: Befreit von den Fesseln der bürokratischen Institution könnte das unabhängige Königreich nun im Sinne der eigenen Interessen handeln – und so das Leben von Millionen Bürgern retten. Nur die böse Staatengemeinschaft versuche, behaupten sie, das zu verhindern. Wer auch sonst bietet sich besser als Sündenbock an? Es sind alte Ressentiments in einem neuen Gewand. Gelegen kommt ihnen, dass die Verteilung der Impfstoffe in vielen EU-Ländern nur schleppend vorankommt.
Während zunächst noch die Hoffnung herrschte, die Beziehungen zwischen London und Brüssel könnten sich nach dem jahrelangen Drama entspannen, hat das Verhältnis mit dem Impfstreit einen neuen Tiefpunkt erreicht. Vernünftige Beobachter mögen über das Fiasko auf dem Kontinent zu Recht ungläubig den Kopf schütteln. Die Brexiteers aber reiben sich voller übertriebener Schadenfreude und Häme die Hände. In Schlagzeilen und Interviews stellen sie die EU-Vertreter als gierige Egoisten dar, die den Briten den Impferfolg nicht gönnen und sich aus verletzter Eitelkeit auf einen Rachefeldzug begeben haben. Die EU habe Großbritannien „den Impfkrieg erklärt“, so die „Daily Mail“. Das ist natürlich Unsinn, aber verfängt in vielen Kreisen.
Dass sich die EU deshalb den Vorwurf des „Vakzin-Nationalismus“ gefallen lassen muss, mutet beinahe absurd an. Denn woher stammen die Impfdosen in weiten Teilen dieser Welt? Die meisten werden in Kontinentaleuropa produziert. Die USA und Großbritannien dagegen fahren einen protektionistischen Kurs auf Kosten der globalen Versorgung. Es ist unumstritten, dass die Briten mit ihrem beherzten, schnellen und flexiblen Vorgehen sehr viel richtig gemacht haben bei der Beschaffung und Verteilung des Impfstoffs. Doch trotz des beeindruckenden Erfolgs sind sie in diesem Theater keineswegs die Unschuldslämmer, als die sie sich präsentieren.
Weil aber Fehler sowohl auf das Konto von London als auch auf das von Brüssel gehen, braucht es von nun an Kompromisse und Kooperation. Ein Exportverbot wäre die falsche Antwort, kontraproduktiv noch dazu. Denn die drastische Maßnahme würde beiden Seiten schaden – und das nicht nur bei der Bewältigung der Pandemie. Sie würde auch nachhaltig die diplomatischen Beziehungen zwischen den Partnern vergiften.
job4u ist die regionale Plattform, wenn es um Lehren und Lernen geht. Neben dem WESER-KURIER, der Handelskammer und der Handwerkskammer Bremen machen sich hiesige Firmen für junge Leute stark.