
Noch bevor an diesem Dienstag das nächste Brexit-Drama beginnen dürfte, bat Premierministerin Theresa May am Abend bei ihrer Partei noch einmal eindringlich um Eintracht und Geschlossenheit. Manch einer wird es auch als eine Art Betteln interpretiert haben, denn die Konservativen sind auf der Insel nicht gerade für ihre Einigkeit bekannt – wie die etlichen Streits um den richtigen EU-Austritt oder der gerade erst mühsam abgewendete Rücktritt des Brexit-Ministers David Davis abermals offenbarten. Diese Woche aber gilt als besonders wichtig für die britische Regierungschefin. Im Unterhaus beginnt die Debatte über das sogenannte EU-Rückzugsgesetz, das die künftige Beziehung zur Europäischen Union näher beschreiben soll. Mehr als ein Dutzend Abstimmungen über die Details stehen auf dem Plan, und die könnten unangenehm werden für die Premierministerin.
Während die Hardliner den klaren Bruch wünschen, fordern etliche pro-europäische Parlamentarier, mit Brüssel über einen Verbleib in der Zollunion zu verhandeln, um den Schaden für die britische Wirtschaft so gering wie möglich zu halten. Das Thema der künftigen Zollpolitik hat sich mittlerweile beinahe zu einer Glaubensfrage in Westminster entwickelt. Und während der Kontinent staunend zuschaut, drehen sich die Tories seit Monaten im Kreis. Politische Kommentatoren auf der Insel kritisieren seit Langem, dass die tief gespaltenen Konservativen wertvolle Zeit damit vergeuden, untereinander über die richtige Austrittsstrategie zu streiten, statt mit Brüssel den Weg für die Zukunft zu ebnen. Die Uhr tickt. Bereits am 29. März 2019 treten die Briten offiziell aus der Gemeinschaft aus.
Folgt dann die „Kernschmelze“, als die Außenminister Boris Johnson in der vergangenen Woche die Möglichkeit einer ungeregelten Scheidung bezeichnet hat? Der Befürworter eines harten Brexit hatte in einem für ihn typischen Affront seiner Chefin vorgeworfen, schlecht zu verhandeln. Jemand wie US-Präsident Donald Trump würde effizienter agieren, meinte der schillernde Politiker. Das hatte er zwar einem kleinen Kreis hinter verschlossenen Türen gesagt, aber natürlich zwitscherte einer der Anwesenden Johnsons Worte der Presse.
Theresa May äußerte sich nicht dazu. Seit Monaten versucht sie die lautstarken Brexitfans in den eigenen Parteireihen zufrieden- und gleichzeitig ihre Autorität wieder herzustellen. Es gelingt ihr nur bedingt. In dieser Woche droht im Parlament ein Aufstand der anderen Seite, der pro-europäischen Kräfte. Die Änderungsanträge, eingebracht vom nicht gewählten und mehrheitlich Brexit-ablehnenden Oberhaus, dürften zum Großteil zwar wieder rückgängig gemacht werden. Doch sollten sich einige Tory-Rebellen bei einzelnen Punkten, etwa dem Verbleib in der Zollunion, mit der Opposition der Labour-Partei zusammenschließen, würde das als herbe Schlappe für die ohnehin angeschlagene Premierministerin und ihren Kurs interpretiert werden. Und sie könnten den Brexit damit entscheidend verändern. Oder May am Ende doch zu Fall bringen?
Ihre „rote Linien“ sehen bislang vor, sowohl die Zollunion als auch den gemeinsamen Binnenmarkt zu verlassen. Doch sehr viel konkreter wurden die Brexit-Fanatiker bis heute nicht. So steht etwa noch immer eine Lösung für die künftige Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland aus – genauso wie ein detaillierter Plan für das Verhältnis zwischen der Union und dem Königreich, wenn die Briten fort sind.
Mittlerweile herrscht in der Wirtschafts- und Finanzwelt nicht mehr nur Verwirrung, sondern Frustration und Ernüchterung über die gespaltene Regierung, die abgetauchte Opposition, über das Chaos und die Ungewissheit. Ursprünglich sollte das Papier, das die britische Vorstellung von der künftigen Beziehung zwischen London und Brüssel skizziert, zur Sitzung des EU-Rats Ende Juni vorliegen.
Nun peilen die Briten Oktober an, wenn die Vertreter der Mitgliedstaaten erneut zusammenkommen. May spielt auf Zeit, schiebt drängende Entscheidungen auf. Die Regierungschefin dachte offenbar, in der vergangenen Woche Kompromissbereitschaft zu signalisieren. Großbritannien könne sich bis Ende 2021 an die Regeln von Zollunion und Binnenmarkt halten, wenn es vorher keine Lösung für die irische Grenze gibt. Die EU lehnte diesen Vorschlag ab. May aber will keine Sonderlösungen für die ehemalige Konfliktregion zulassen. Die Briten stehen wieder da, wo sie schon vor Wochen standen: irgendwo im Kreis.
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