
Darauf muss man erst mal kommen: Ausgerechnet Sahra Wagenknecht, einst Sprecherin der Kommunistischen Plattform der PDS, wird Rechtsabweichlertum innerhalb der Linken vorgeworfen. Das Zerwürfnis ist nicht neu. Schon mit ihrer kritischen Haltung im Zuge der Flüchtlingskrise zog Wagenknecht den Zorn auf sich. AfD-Rhetorik wurde ihr attestiert, ausgerechnet der prominentesten Vertreterin des linken Parteiflügels.
Dass sie nun erneut für Debatten sorgt, offenbart jedoch einen viel tieferen Konflikt. Er spaltet nicht nur ihre Partei, sondern erschüttert mittlerweile das gesamte linke Spektrum. Es geht um die Frage, welchen Stellenwert die Identitätspolitik haben soll: Während die traditionellen Linken eher Verteilungskonflikte in den Mittelpunkt stellen, also die Frage nach Arm oder Reich, geht es vornehmlich der jüngeren Generation um Themen wie Rassismus, Diskriminierung, Feminismus, Gendertheorien und sexuelle Orientierung. Und dabei geht es heftig zur Sache, sehr heftig sogar.
Das bekam jüngst auch Wolfgang Thierse zu spüren, eigentlich eine moralische Instanz in der SPD. Sein Vergehen: Er hatte die Aggressivität und Unversöhnlichkeit in den Debatten um die Identitätspolitik und ihr spalterisches Potenzial kritisiert. Queer-Aktivisten attackierten Thierse daraufhin heftig, unterstellten ihm „neurechtes Sprech“ – und bestätigten mit ihrer harschen Reaktion letztlich doch nur seine Aussage. Anstatt ihn in Schutz zu nehmen, stellten ihn auch Parteichefin Saskia Esken und ihr Stellvertreter Kevin Kühnert in den Senkel – ohne ihn beim Namen zu nennen. Sie seien „beschämt“, hieß es, er vermittle ein „rückwärtsgewandtes Bild der SPD“. Thierse, ein Mann, der sich auch in der DDR nicht verbiegen ließ, gedemütigt von der eigenen Parteiführung. So weit ist es gekommen.
Die Debatte hat enorme Sprengkraft für das linke Lager. Im Kern geht es um die Frage: Für wen will man kämpfen, wessen Interessen vertreten? Natürlich dürfen keine Gruppen gegeneinander ausgespielt werden, darf es kein Entweder-Oder geben. Minderheitenschutz ist nicht verhandelbar. Doch darüber dürfen die Mehrheiten nicht vergessen werden. Die Prioritäten müssen klar sein, die Größe eines Wahlplakats ist endlich. Genau hier sind SPD und Linke schon vor einiger Zeit vom Weg abgekommen. Die viel zitierten „kleinen Leute“, eigentlich ihr ureigenstes Klientel, verlieren sie immer mehr aus dem Blick. Umworben werden inzwischen viel mehr akademisch geprägte Großstadtmilieus, weshalb die Parteien immer grüner werden.
Doch die alleinerziehende Friseurin interessiert wahrscheinlich weniger die Zahl weiblicher Aufsichtsräte in Dax-Konzernen oder ob ihr Friseurgeschäft künftig gendergerecht Frisierendengeschäft heißt als vielmehr die Frage, wie sie die Betreuung ihres Kindes in Pandemiezeiten organisiert und wie sie mit ihrem kargen Lohn über die Runden kommt. Genau deshalb fühlt sie sich zunehmend allein gelassen.
Die Entfremdung lässt sich auch am Personal der Parteien festmachen. Es werden immer weniger, die das reale Arbeitsleben noch aus eigener Anschauung kennen. Der Weg führt heutzutage meist direkt von der Uni in die Politik, und da verwechselt man schnell das Asta-Paralleluniversum mit der echten Welt. „Immer nah bei de Leut“, postulierte einst SPD-Chef Kurt Beck. Seine Nachfolger könnten ferner kaum sein. Denn wer „Bild“ statt „Zeit“ liest, RTL statt Arte guckt, das Grillsteak dem veganen Kichererbsen-Curry vorzieht und im Urlaub gern ins All-Inclusive-Resort in die Türkei fliegt, der ist der selbst ernannten Vertretung der Arbeiterklasse inzwischen peinlich. Ihre Prioritäten haben sich verschoben.
Am Ende, und das ist jetzt wirklich eine bemerkenswerte Volte, machen sich die Unternehmen – sonst ständig als Ausbeuter von den Linken geschmäht – mit ein bisschen Diversity-Folklore einen schlanken Fuß. Der Internetgigant Amazon etwa pries seine eigene Vielfalt und schaltete ganzseitige Anzeigen mit einer kopftuchtragenden Mitarbeiterin. Die mitunter miesen Arbeitsbedingungen wurden bei dieser Anbiederei an den Zeitgeist selbstredend nicht erwähnt. Clever gemacht, kann man da nur sagen: Selten zuvor hat sich die politische Linke so billig über den Tisch ziehen lassen.
job4u ist die regionale Plattform, wenn es um Lehren und Lernen geht. Neben dem WESER-KURIER, der Handelskammer und der Handwerkskammer Bremen machen sich hiesige Firmen für junge Leute stark.