
Berlin. Kanzlerin Angela Merkel hat am Wochenende länger mit Bodo Ramelow telefoniert, das ist bekannt. Umgehend wurde dementiert, dass sie sich nun für die Wahl des Linken-Politikers zum Thüringer Ministerpräsidenten ausspreche. Doch es gab noch ein anderes Gespräch, von Merkel und SPD-Vizekanzler Olaf Scholz mit FDP-Chef Christian Lindner. Und hier ging es neben der Regelung des Rücktritts von Thomas Kemmerich um eine Alternative zu Ramelow. Auf diese Weise brachte Lindner Stefan Kaufmann ins Spiel.
Nach Meinung von CDU und FDP ist Ramelow selbst inzwischen das Problem für eine gemeinsame Lösung zur Überwindung der Regierungskrise in Thüringen. Wegen der erheblichen Widerstände gegen eine Wahl des Linken-Politikers zum Ministerpräsidenten schlägt Lindner nun den Präsidenten des Thüringer Verfassungsgerichts, jenen Stefan Kaufmann, als Übergangs-Regierungschef vor. „So könnten schnell Neuwahlen herbeigeführt werden, um die Situation in Thüringen zu beruhigen“, sagte er dieser Zeitung. „Erpressungsversuche“ der Linkspartei gegen CDU oder FDP würden sicher nicht zu der notwendigen Beruhigung beitragen. Der von der CDU vorgeschlagene Kaufmann war 2018 mit der großen Mehrheit der Abgeordneten zum Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs gewählt worden – nachdem man sich zuvor monatelang nicht hatte einigen können.
Das wäre die österreichische Lösung, wo nach dem Zerbrechen der ÖVP/FPÖ-Koalition bis zur Wiederwahl von Kanzler Sebastian Kurz eine Expertenregierung eingesetzt worden war, an deren Spitze als Kanzlerin die bisherige Präsidentin des Verfassungsgerichts, Brigitte Bierlein, stand. Nur hat Lindner in Thüringen das Problem, dass er den Brand quasi mit angefacht hat – und bei der Auswahl der Löschkräfte daher nicht unbelastet ist.
Ramelow hingegen will sich im Landtag nach dem Rücktritt des mit Stimmen von AfD und CDU gewählten FDP-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich erneut zur Wahl stellen. Da Linke, SPD und Grüne aber nur 42 von 90 Stimmen im Erfurter Landtag haben, braucht er die Unterstützung von CDU und/oder FDP. Um ein erneutes Debakel zu verhindern, will er möglichst vor dem ersten Wahlgang eine Garantie haben, dass er mit einer absoluten Mehrheit rechnen kann.
Ramelow hat zugesagt, den Weg für eine Neuwahl zu bereiten. Die muss er anders als CDU und FDP nicht fürchten: Laut einer Umfrage von infratest-dimap für den MDR würde die Linkspartei dort auf 39 Prozent zulegen, das sind acht Prozent mehr als bei der Landtagswahl. Die AfD könnte sich leicht auf 24 Prozent (Landtagswahl 23,4) verbessern. Dagegen würden die CDU auf 13 und die FDP auf vier Prozent abstürzen. Die Grünen bekämen fünf, die SPD zehn Prozent. Rot-Rot-Grün hätte dann also sogar wieder eine eigene, deutliche Mehrheit.
Die CDU ist bisher gegen eine Unterstützung Ramelows, zumal die Bundes-Partei weiter jede Kooperation mit AfD wie Linkspartei ausschließt. Am Montag wollen Linke, SPD, Grüne und CDU in Erfurt miteinander ausloten, was ginge. SPD-Landeschef Wolfgang Tiefensee betonte: „Ich unterstütze die Wahl des Abgeordneten Ramelow zum Ministerpräsidenten.“ Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Michael Grosse-Brömer, appellierte dennoch an SPD und Grüne, einen Alternativkandidaten zu präsentieren. Es gehe um eine Persönlichkeit, die „Übergang gestalten kann, das Land nicht spaltet“.
In Erfurt sind viele schon verärgert über die Interventionen aus Berlin. Vor allem über Kanzlerin Merkel, die erst auf einer Südafrika-Reise gefordert hatte, das Ergebnis der Kemmerich-Wahl müsse rückgängig gemacht werden, und dann vom Kanzleramt aus daran arbeitete. Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke hat eine Strafanzeige gegen Merkel „wegen Nötigung des Ministerpräsidenten durch die Bundeskanzlerin“ angekündigt. Juristen halten das für einen PR-Trick.
Die dritte Variante neben Ramelow und einem anderen Kandidaten wäre die Auflösung des Landtags mit Zweidrittel-Mehrheit. Dann bliebe aber der zurückgetretene Kemmerich geschäftsführend im Amt bis zur Neuwahl, was Ramelow nicht will. Damit nähme man mindestens 70 Tage in Kauf, in denen es keine handlungsfähige Landesregierung gäbe. Das sei staatspolitisch verantwortungslos, sagte Ramelow.
Kemmerich nicht im Bundesrat
Erstmals seit der Ministerpräsidentenwahl vor einer Woche hat die Thüringer Regierungskrise sichtbare Auswirkungen. Thüringens Platz im Bundesrat in Berlin wird an diesem Freitag leer bleiben – obwohl es unter anderem um die Finanzierung des Bahn-Regionalverkehrs geht. Der nach seinem Rücktritt geschäftsführende Ministerpräsident Thomas Kemmerich (FDP) werde nicht an der Sitzung der Länderkammer teilnehmen, sagte ein Sprecher der Thüringer FDP am Dienstag. Das sei gleichbedeutend mit einer Stimmenthaltung Thüringens. „Der geschäftsführende Ministerpräsident möchte nicht durch seine Anwesenheit provozieren“, erklärte der FDP-Sprecher.
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