
Wer reist, muss ein schlechtes Gewissen haben. Vor allem, wer fliegt oder mit dem Auto unterwegs ist, dem sollte das peinlich sein. Das propagiert unter anderem die Fridays-for-Future-Bewegung. Die Wortkreation Flugscham ist deshalb zu einem Trendwort geworden. Denn wer in den Urlaub fliegt, scheint in ganz besonderem Maße für den Klimawandel verantwortlich zu sein.
Doch Flugreisen machen lediglich zwei Prozent des weltweiten Kohlendioxidausstoßes aus. Laut aktuellen Berechnungen der Universität Sydney ist der Tourismus für acht Prozent der menschengemachten CO2-Emissionen verantwortlich. Norbert Fiebig, Präsident des Deutschen Reiseverbands (DRV), beanstandet deshalb, „dass die Reiseindustrie zum alleinigen Sündenbock in der Öffentlichkeit gemacht wird“.
Über die 30 Prozent Emissionen, die im Gebäudebereich entstünden, würde beispielsweise niemand reden, sagt er. Und es stimmt, wenn Kritiker sagen, dass die Diskussion um den Klimawandel nicht sachlich genug geführt wird: So wird in der Öffentlichkeit etwa über die weltweit 500 Kreuzfahrtschiffe mehr geschimpft als über die 40.000 Frachtschiffe. Oder: In Deutschland wird darüber diskutiert, Inlandsflüge zu verbieten, doch in China werden momentan 162 Flughäfen gebaut.
Was nützt mein Beitrag überhaupt, wenn er so verschwindend gering ist? Diese Frage stellen sich angesichts solcher Bauvorhaben viele Urlauber. Der individuelle Beitrag nütze etwas, sei aber längst nicht genug, sagt der Schweizer Klimaforscher Reto Knutti von der ETH Zürich. Dabei geißelt er aber längst nicht nur die Flugreisenden. Fleisch essen, massenweise Kleidung kaufen oder das alte Haus nicht dämmen: Wenn alle so weiterleben wie bisher, werden die Klimaziele weit verfehlt, so der Klimatologe. Knutti forderte daher in der Schweizer Zeitung „Republik“ eine Null-CO2-Politik und politische Verbote. Denn Veränderungen gebe es nur, wenn der Staat Regeln aufstelle.
Sollte man also beispielsweise das Fliegen komplett aufgeben? Nein, sagt der Ökonom Joachim Weimann von der Universität Magdeburg. Das würde den Zusammenbruch der Weltwirtschaft bedeuten. Außerdem ist es schwer vorstellbar, dass in einer globalisierten, durch und durch wirtschaftlich geprägten Welt nicht mehr geflogen wird – auch privat in den Urlaub. Seit den 1950er Jahren konnten sich immer mehr Bundesbürger Urlaube erlauben. Unstrittig ist dabei, dass Reisen durchaus bilden kann. Wer reist, lernt andere Kulturen, Landschaften und Menschen kennen. Reisen, die Errungenschaft der Wohlstandsgesellschaft, lässt sich nicht einfach wieder rückgängig machen. Daran wird auch die Luftverkehrssteuer nichts ändern, die zum 1. April 2020 in Kraft tritt.
Die Verantwortung für den Klimawandel deshalb beim Individuum abzuladen und ihm ein schlechtes Gewissen zu machen, ist keine Lösung. Die Lösung ist viel komplexer. Aber vielleicht hilft es, sich bewusst zu machen, dass der Klimawandel ein Kind unserer Zivilisation, der modernen Gesellschaft ist. Und lösen lässt sich das Klimaproblem – wenn überhaupt – nur mit der Erfolgen der Zivilisation: Technik, Innovationen und Ideen. Europa muss deshalb beim Klimaschutz eine Vorreiterrolle einnehmen und Alternativen zur bisherigen Mobilität mit Hochdruck ausbauen. Als Kerosinersatz sollte etwa synthetischer Sprit weiterentwickelt werden, um den Luftverkehr grüner zu machen.
Laut Weltklimarat könnte solch ein alternativer Treibstoff den CO2-Ausstoß im Flugverkehr um 30 bis 90 Prozent mindern. Oder es sollten Kreuzfahrtschiffe eingesetzt werden, die beispielsweise auf Flüssigbiogas aus Fischabfällen setzen; es sollten Autos fahren, die nur noch Wasserdampf ausstoßen; es müsste ein günstiger, gut ausgebauter Nahverkehr angeboten werden; oder Züge, die regelmäßig und pünktlich fahren; und die Tickets dürften nicht teurer sein als ein vergleichbarer Flug.
Aber die Reiseindustrie muss Vorbild sein: Trends zu „grünen Hotels“ müssen weiterentwickelt werden. Laut Weltklimarat können etwa durch die Sanierung von älteren Hotels bis zu 90 Prozent der Energie eingespart werden. Urlauber könnten nur ein klein wenig verzichten und eher eine mehrwöchige Fernreise als mehrere kurze Urlaube machen. Außerdem lassen sich mit Direktflügen Emissionen vermeiden. Und mehr Reisende könnten die Emissionen ihrer Flüge mit einer freiwilligen Öko-Spende kompensieren. Wer reist, muss kein schlechtes Gewissen haben, denn man kann trotzdem etwas für das Klima tun.
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