
Beides geht eigentlich nicht, sollte man meinen: Krieg und Frieden gleichzeitig. Doch in Libyen geht das. Auch wenn die Gefechte in dem Bürgerkriegsland in den vergangenen Monaten seltener geworden sind, stehen sich die verfeindeten Parteien nach wie vor gegenüber und warten nur darauf, wieder losschlagen zu können. Eine Feuerpause sei das derzeit, sagen Beobachter vor Ort.
Und doch gibt es einen Hoffnungsschimmer, dass auch der Frieden einen Platz finden könnte in dem Land, das seit dem Sturz von Muammar al-Gaddafi 2011 in Anarchie und Chaos versinkt. Interessanterweise waren es wieder Demonstrationen, die zu einem Umdenken führten – wie schon vor zehn Jahren, als der Arabische Frühling auch Libyen erfasste. Die USA, Kanada und einige westeuropäische Länder entschlossen sich, der Protestbewegung mit Luftangriffen zu helfen und trugen so zum Ende der Ära Gaddafi bei. Deutschland hielt sich damals raus. Im Nachhinein eine kluge Entscheidung, denn für die Zeit nach Gaddafi gab es keinen Plan – ähnlich wie beim Einmarsch der Amerikaner und Briten im Irak 2003. Warum, fragt man sich heute, müssen Fehler ständig wiederholt werden?
Im Herbst 2020 flammten erneut Proteste auf. In der Hauptstadt Tripolis und anderen Städten demonstrierten Menschen gegen Korruption und die sich verschlechternden Lebensumstände, Forderungen nach politischen Reformen wurden laut. Die Demonstranten kritisierten auch die lang andauernde und chaotische Übergangsphase, in der sich Libyen befindet. Das Land ist quasi zweigeteilt. Im Westen herrscht eine von mehreren westlichen Staaten und der Uno anerkannte Regierung, im Osten ein abtrünniger General der ehemaligen Gaddafi-Armee, der von Ägypten und den Golfstaaten unterstützt wird.
Der Chef der Regierung in Tripolis, Fayez Sarraj, merkte, dass er keinen Rückhalt in der Bevölkerung mehr hatte und bot seinen Rücktritt an. Bis Ende Oktober wollte er sein Amt übergeben. Ein löblicher Entschluss angesichts der Despotenregime ringsherum, deren Machteliten verbissen an ihren Stühlen klammern. Doch so schnell ging das nicht mit dem Abtritt, und viele zweifelten an der Ernsthaftigkeit der Absicht.
Und so überrascht es schon, dass jetzt eine Interimsregierung gewählt worden ist, die allgemeine Wahlen im Dezember vorbereiten soll. An einem geheimen Ort in der Schweiz trafen sich unter UN-Aufsicht Vertreter der rivalisierenden und seit Jahren verfeindeten Gruppen – fast schon konspirativ. Die Sitzung allerdings wurde offen und transparent im Internet übertragen und alle konnten 75 Libyer sehen, die verschiedene politische, regionale und Stammes-Gruppen vertraten und sich für vier Regierungsposten bewarben: einen neuen Ministerpräsidenten und ein dreiköpfiges Präsidium. Das Quartett soll die verfeindeten Lager und ihre rivalisierenden Regierungen im Osten und Westen einen.
Es gibt noch eine Überraschung: Neuer Ministerpräsident wurde nicht etwa ein politisches Schwergewicht, wie man es in einem von Stämmen geprägten Land wie Libyen erwarten könnte, sondern ein Aktivist und Geschäftsmann. Er heißt Abdul Hamid Dbaiba und hat den Satz geprägt: „Das libysche Volk will leben.“ Jetzt reist er durch das Land, gerade ist er in Bengasi unterwegs und wirbt für seine Mission. Wer das ölreiche Land nach den Wahlen im Dezember regieren wird, ist indes völlig offen. Die Kandidaten für die Übergangsregierung haben sich verpflichtet, nicht anzutreten. Sie haben auch versprochen, das Ergebnis der Wahl anzuerkennen. Beobachter fürchten dennoch, dass die Machtkämpfe anhalten könnten. Zudem ist unklar, wie General Chalid Haftar und seine sogenannte Libysche Nationalarmee im Osten des Landes auf die Wahl reagieren werden.
Dann sind da noch Russland und die Türkei, die sich neuerlich massiv in den Konflikt eingemischt haben. Denn die türkischen Truppen und die russischen Söldner, die verschiedene Seiten unterstützen, sind nicht abgezogen – anders als bei der Berliner Libyen-Konferenz vor einem Jahr vereinbart. Es gibt also ein bisschen Frieden und noch ganz viel Krieg in Libyen.
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