
Ein Journalist aus Finnland brachte es anlässlich einer großen Kirchentagung einmal folgendermaßen auf den Punkt: „Bei Kirchen und Religionsgemeinschaften gibt es einen Wanderzirkus von 500, vielleicht tausend Leuten, die nur auf internationalen Konferenzen leben.“ Menschen also, die sich in den unterschiedlichsten Zusammenhängen immer wieder treffen, ohne dass am Ende etwas Handfestes dabei herauskommt. Lässt sich das auch über das Welttreffen von „Religions for Peace“ sagen, einer Tagung von rund 1000 Religionsführern aus 100 Ländern, die am gestrigen Freitag in Lindau am Bodensee zu Ende ging? Ist es für die Lage in der Welt nicht völlig irrelevant, ob sich 1000 Menschen in einer Inselstadt im Bodensee treffen und über den Frieden reden? Mehr noch: Schadet es nicht dem Weltklima, wenn sich ausgerechnet die umweltbewegten und für die Bewahrung der Schöpfung eintretenden Religionsvertreter einmal um den halben Globus aufmachen, um sich in der süddeutschen Provinz zu Gruppenarbeiten mit Gleichgesinnten zu treffen?
Doch bezogen auf das Treffen von Lindau stimmt die Theorie des finnischen Journalisten nicht. Schon ein Blick in die Statistiken zeigt, dass Tagungen wie jene in Lindau wichtig sind: Schließlich haben bei weitem die meisten weltweiten Konflikte auch eine religiöse Konnotation. Da kämpfen Muslime gegen Christen, Schiiten gegen Sunniten, werden Jesiden verfolgt und in einem Genozid ermordet, vertreibt das buddhistische Myanmar die muslimische Minderheit der Rohingya. Selbst wenn es ursprünglich um Land, um Ressourcen oder Nahrungsmittel geht: Oft ist eben auch die Religion an den Konflikten beteiligt, sei es in Afrika, im Nahen Osten oder auch in Südostasien. Es ist deswegen richtig und wichtig, dass sich das Auswärtige Amt in Gestalt seines Abteilungsleiters Andreas Görgen und seiner Mitarbeiter nachhaltig für die Friedensverantwortung der Religionen engagiert, und Tagungen wie die von „Religions for Peace“ fördert und unterstützt. Denn Menschen, die bei solchen Anlässen miteinander reden und eine Beziehung zueinander finden, können vielleicht auch dann Kommunikationskanäle herstellen, wenn sie in einer Konfliktsituation aufeinander angewiesen sind.
Noch wichtiger aber war auch bei der Tagung in Lindau eine andere Ebene. Das, was sich nicht in öffentlichen Bekenntnissen zeigt, und wovon es keine Fernsehbilder gibt. Denn am Rande der Tagung gab es eine ganze Reihe von organisierten Dialogen zwischen Religionsvertretern aus den Konfliktregionen dieser Welt. Aus Bangladesh und Myanmar, um im Rohingya-Konflikt Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Aus Nordkorea und Südkorea: Menschen aus den offiziell noch immer im Krieg befindlichen Nachbarländern trafen in Lindau ebenso zusammen, wie es schon bei der Versammlung der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen 2017 in Berlin und Wittenberg der Fall war.
Sicher, solche Gespräche führen nicht zu dramatischen neuen Entwicklungen in der Weltpolitik. Sie lösen die Konflikte nicht im Alleingang. Aber sie können neue Zugänge öffnen, ein Fenster des Dialogs aufmachen und dafür sorgen, dass Menschen, die in der aufgeheizten Stimmung ihrer Heimatländer keine Möglichkeiten dazu haben, wieder miteinander reden. Und welche welthistorischen Bewegungen aus dem Schutzraum von Religionsgemeinschaften heraus entstehen können, muss man im 30. Jahr nach dem Mauerfall ja eigentlich nicht mehr gesondert betonen: Ohne die Oppositions- und Umweltgruppen, die sich in den letzten Jahren der DDR unter dem Dach der Evangelischen Kirche trafen, hätte es die deutsche Wiedervereinigung im Folgejahr wohl kaum gegeben.
Da fällt es weniger ins Gewicht, dass das Friedenstreffen am Ende in Lindau eine Abschlussdeklaration verabschiedete, die so ist, wie Abschlussdeklarationen von Konferenzen nun einmal sind: Voller Allgemeinplätze und gespickt mit Forderungen, gegen die eigentlich niemand irgendetwas haben kann. Dass es Friedenserziehung von der frühen Kindheit bis ins Erwachsenenalter geben soll, oder dass sich „Religions for Peace“ weiter für die Menschenrechte schutzbedürftiger Gemeinschaften einsetzen will – geschenkt.
Immerhin: Die Religionsführer sprachen sich auch für den Erhalt und den Schutz des tropischen Regenwaldes aus. Und angesichts der lodernden Feuer im Amazonasgebiet und des großen Einflusses, den gerade evangelikale Kirchen mittlerweile in der Politik Brasiliens haben, wäre es doch wirklich wünschenswert, wenn dieses Statement schnell gehört würde.
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