
Viktor Orbán hat verloren. Noch einmal hatte der ungarische Premier am Wochenende mit Druck und Drohungen versucht, eine Reform der Geschäftsordnung der Christdemokraten im EU-Parlament zu verhindern. Aber sowohl der Regierungschef in Budapest wie auch seine Fidesz-Parteifreunde hatten längst dermaßen überzogen, dass nicht einmal mehr die früheren Verbündeten in Berlin und München bereit schienen, ihre Hand weiter über den ungarischen Anti-Demokraten zu halten. So war der Brief, mit dem Orbán seine Partei aus der EVP-Fraktion zurückzog, längst geschrieben, noch bevor die Entscheidung fiel.
Es ist ein Ausgang, der Kreise ziehen dürfte. Fraktionschef Manfred Weber hat dies angedeutet, als er durchblicken ließ, dass diese Abstimmung nicht nur eine „innerfraktionelle“ Bedeutung hat. Mit anderen Worten: Die Vorsitzenden der christdemokratischen Parteien zu Hause haben den Daumen über den Ungarn gesenkt und Orbán damit zum Abschuss frei gegeben. Mit ihrem Beschluss verdeutlichen die Christdemokraten im Parlament, dass Orbán und seine Fidesz mit den christdemokratischen Parteien in Europa etwa so viel gemein haben wie Wladimir Putin mit Greta Thunberg.
Orbán steht nicht nur für ein anderes Europa, sondern auch für ein gänzlich anderes Staatsverständnis – eines, das nur schwer mit den Begriffen der Demokratie in Einklang zu bringen ist. Demokratien beruhen auf der Annahme, dass aus Minderheiten einmal Mehrheiten werden können. Dementsprechend zivilisiert und rücksichtsvoll verhält sich die Mehrheit. Orbáns Fidesz tut dies schon lange nicht mehr. Der Mann, der seine Vorstellung einer „illiberalen Demokratie“ – so seine eigenen Worte – verwirklichen wollte, wurde deshalb ausgegrenzt. Endlich. Denn er lähmte die Arbeit der EVP in fast schon unerträglicher Weise.
Offen bleibt, ob da nicht noch einiges nachkommt. Es gibt Stimmen, die auf einen zwar nicht vergleichbaren, aber letztlich ähnlich bedeutsamen Vorgang 2009 verweisen. Damals hatten die britischen Konservativen die Fraktionsgemeinschaft mit der EVP verlassen – ein Schritt, der einigen Europapolitikern als Initialzündung für die Entfremdung gilt, die am Ende zum Brexit führte.
Bisher gibt es zwar keine Hinweise darauf, dass Orbán Pläne schmiedet, um sein Land aus der EU herauszuführen – zumal Ungarn ohne die milliardenschweren Subventionen aus Brüssel nicht überlebensfähig wäre. Aber in Budapest weiß man auch, dass die Christdemokraten als stärkste Fraktion im Europäischen Parlament nun entschlossener alle Instrumente nutzen können, um gegen die Rechtsstaatsverstöße in Ungarn vorzugehen. Das wird Orbáns bisherige Strategie des Ignorierens durchkreuzen.
Für die EU wird dadurch nichts einfacher. Zwar müssen die Parteien in der Mitte des politischen Spektrums nun noch konsequenter Kompromisse suchen, um sich gegen die erstarkte Rechte zu stemmen. Aber sowohl in den wichtigen Ministerräten wie auch auf den EU-Gipfeln dürfte Orbán zum irrlichternden Gegner werden, der seinen bisherigen christdemokratischen Freunden jeden nur erdenklichen Stein in den Weg legt – um zu verhindern, dass die Gemeinschaft dem umstrittenen Kurs der Fidesz nicht in die Quere kommt.
Bisher konnte Orbán schalten und walten, wie er wollte. Die Presse ist längst mundtot gemacht, der Justizapparat der Regierung unterworfen. Die Korruption ist ein staatlich toleriertes Phänomen. Da brauchte Orbán andere Kriegsschauplätze, um abzulenken und sich hinter der christdemokratischen Parteienfamilie verstecken zu können. Diese Rechnung dürfte nun nicht mehr aufgehen.
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Die Menschen in Ungarn wollen Europa. Sie fühlen sich zu dieser Gemeinschaft zugehörig. Es gibt allerdings berechtigte Zweifel, ob das auch für ihren Regierungschef gilt. Aber das hat nicht Brüssel zu entscheiden, sondern allein der höchste Souverän des Landes: das Volk. Niemand drängt das Land aus der EU. Es ist Viktor Orbán, der den gemeinsamen Wertekanon Schritt für Schritt aufkündigt.
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