
Bremen. „Digitale Staatskunst“, so heißt ein wenig blumig die Reihe von Bremer Gesprächen über den digitalen Wandel. Ganz konkret wurde aber beim zweitägigen Kolloquium im Rathaus Gertrud Ingestad, die Generaldirektorin der Generaldirektion Informatik der Europäischen Kommission. „Es ist mein fester Glaube, dass eine umsichtige, aber auch kraftvolle Verwandlung des öffentlichen Sektors ein Schlüssel für den Erfolg von Europas digitaler Zukunft ist.“
Und dabei setzt die Frau aus Schweden auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr. „Deutschlands Erfahrung mit mehrstufiger digitaler Verwaltung ist dafür ein Beispiel. Deutschlands Unterstützung wird ein entscheidender Faktor für die Modernisierung des öffentlichen Sektors in der EU sein“, sagt Ingestad. „Aber Europa hat noch nicht den richtigen Mannschaftsgeist gefunden, um ein Bewerber für die globale digitale Spitzenklasse zu sein“, kritisiert die Beamtin.
Doch die Generaldirektorin sieht nicht nur die Chancen des technologischen Wandels. Sie erwähnt auch die – durchaus beachtlichen – Gefahren. Deshalb gelte es besonders, dass die Cybersecurity – also die Sicherheit des Internets – großgeschrieben werde. So müssten die Verwaltungen aufpassen, dass die Menschen nicht von automatisierten Verfahren und Antworten alleingelassen würden. „Wir brauchen klare Mindeststandards und Transparenz“, sagt Ingestad.
Die frühere Sprachlehrerin nennt als Beispiel Gesundheitsdaten: Die könnten auf Chipkarten gespeichert werden und dann ein Segen sein, etwa wenn Menschen im Ausland erkranken. Sie können aber zum Fluch werden, wenn die Daten missbraucht werden – zum Beispiel von Krankenversicherungen. Die Rednerin stellt klar: „Die Bürger müssen den Behörden vertrauen können, dass ihre Daten nicht missbraucht werden.“ Aber Ingestad ist zuversichtlich: „Die Leute erkennen irgendwann den Vorteil.“
Die EU hat gerade ein Weißbuch zur künstlichen Intelligenz vorgelegt, das breit diskutiert werden soll. So soll Europa „Vorreiter für eine vertrauenswürdige künstliche Intelligenz“ werden. Milliardenschwere Investitionen will die Kommission in Datenplattformen und KI-Anwendungen investieren. Ein strittiges Thema ist dabei vor allem die Gesichtserkennung. Derzeit ist ihre Verwendung für die biometrische Fernidentifizierung von Menschen in der EU verboten. Brüssel will nun eine Debatte starten und über mögliche Ausnahmen reden. „Wir wollen kein System wie in China“, betont Ingestad in Bremen. Damit spielt sie auf das System der Sozialpunkte an. Mit diesem Sozialkredit hat das Regime in Peking ein Ratingsystem eingeführt, um das soziale und politische Verhalten von Personen zu benoten. Der Staat sammelt etwa Informationen über Zahlungsmoral und soziales Verhalten. Wer ein gutes Rating aufweist, wird bevorzugt, zum Beispiel bekommt die Person schneller ein Reisevisum. Wer nur wenige Sozialpunkte hat, dem drohen Sanktionen. Für diesen Kreis gibt es beispielsweise keine Zugtickets.
Bremen Bürgermeister Andreas Bovenschulte und Finanzsenator Dietmar Strehl dürften die Ausführungen mit Sympathie verfolgt haben. Die beiden Politiker hatten die rund 270 Teilnehmer des Kolloquiums in der Oberen Rathaushalle begrüßt. „Der Staat muss die Umsetzung der Digitalisierung gestalten und die Weichen für eine digitale Demokratie stellen. Dazu zählt vor allem: Grundrechte wahren, Richtlinien vorgeben und die digitale Souveränität durchsetzen“, hatte Bovenschulte in seiner Begrüßungsrede gesagt. Strehl betonte, dass durch die zunehmende Digitalisierung keine rechtsfreien Räume entstehen dürften. „Wir brauchen staatliche Leitplanken auch für privat betriebene Plattformen im Netz. Die Anbieter solcher Dienste agieren weltweit, und deshalb ist es wichtig, länderübergreifende Regelungen zu schaffen, beispielsweise durch EU-Normen“, sagte Strehl.
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