
Es gibt zweifellos ernsthafte Überlegungen, schon seit Jahren. In der Theorie hat sich der Berliner Politikbetrieb eigentlich schon umfassend selbst reformiert. Dennoch mahnte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kürzlich angesichts der Wahlergebnisse in Thüringen: „Wir alle müssen zu grundlegenden Politikreformen bereit sein, auch dann, wenn sie schmerzhaft sind, weil sie eigene Besitzstände infrage stellen oder scheinbar zulasten der eigenen Interessen gehen.“ Nur so sei „grundlegendes Vertrauen“ zurückzugewinnen. Nicht jedem Wähler leuchte ein, schrieb Altmaier in einem Gastbeitrag für die „Rheinische Post“, warum Bürgern Renten-, Gesundheits-, Hartz-IV-Reformen „und viele andere unbequeme, aber notwendige Umstellungen zugemutet“ werden würden, sich in Regierungen und Ministerien aber nicht viel tue. Das ist fein beobachtet.
Grundsätzlich, heißt es, seien sich die Parteien beim Thema Parlamentsverkleinerung längst einig. 709 Mandate sind zu viel, angesichts einer gesetzlichen Richtgröße von 598 Parlamentssesseln. Doch tatsächlich muss derzeit kein Politiker mit Ambitionen fürchten, dass sich seine Karrierechancen in der Bundeshauptstadt in absehbarer Zeit verschlechtern. Die Chancen, dass Altmaiers Vorschläge – das Parlament verkleinern, die Zahl der Ministerposten auf 15 begrenzen, die der Wahlen, der Staatssekretäre und Regierungsbeauftragten reduzieren, für mehr Bürgerbeteiligung sorgen – beherzigt werden, sind in Prozenten geringer als die SPD-Werte in Thüringen. Die Große Koalition ist auf andere Weise vorwiegend mit sich selbst beschäftigt. Kaum war das Thema Grundrente geeint, gelang es mühelos, ein neues Streitthema zu finden: Steuervorteile für Männervereine – ein schwerer Brocken mit gesellschaftspolitischem Wumms.
Dabei haben sich schon namhafte Parteifreunde Altmaiers für eine Wahlrechtsreform ins Zeug gelegt. Der einstige Bundestagspräsident Norbert Lammert versprach im Herbst 2016 eine Reform, nachdem eine willige Kommission im April gescheitert war. Sein Nachfolger Wolfgang Schäuble kündigte im Mai 2018 an, der Bundestag habe „einen neuen Präsidenten, der ein Scheitern nicht zulassen will“. Im September dieses Jahres taten sich 102 deutsche Staatsrechtler zusammen – darunter Gerd Winter, Alfred Rinken und Andreas Fischer-Lescano aus Bremen – um Schäuble vorsichtshalber daran zu erinnern. Die Zeit drängt. Je mehr Parteien in den Bundestag einziehen, desto mehr kann er anschwellen, 2021 könnten es noch mehr Mandate werden. Und Wahlkreise, sollten sie tatsächlich des Problems Lösung sein, schrumpfen nicht nach Beschluss über Nacht.
Es gibt auch Bewegung in der Sache: Am Donnerstag wurde das Thema im Bundestag behandelt. SPD und CDU lehnten in erster Lesung einen Gesetzentwurf ab, den Grüne, FDP und Linke gemeinsam eingebracht hatten. Er sieht vor, Wahlkreise zu vergrößern, damit ihre Anzahl zu verringern und die der Bundestagssitze auf 630 zu begrenzen. Es handelt sich um einen zeitgemäß nachhaltigen Entwurf. Er wurde recycelt, Linke und Grüne hatten damit bereits 2011 einen Vorstoß unternommen. Aus dem Bundestag wurde die Debatte in eigener Sache im Parlamentsfernsehen übertragen – ab 21.30 Uhr, in kleinem Kreis, vor schätzungsweise einem Drittel aller Abgeordneten. Es schien fast so, als ob sie, ohne es zu wollen, den Beweis angetreten hätten, dass der Bundestag auch so recht ordentlich funktioniert. Bitte bloß nicht falsch verstehen: Selbstverständlich haben Parlamentarier mehr zu tun, als ihre Zeit im Plenarsaal zu vertun.
Es ist übrigens auch nicht Eigennutz, der SPD und CDU vor der Verkleinerung zurückschrecken lässt, sondern das Wohl der Wähler, das nicht unter vergrößerten Wahlkreisen leiden soll. „Uns ist (...) die Repräsentanz durch in Wahlkreisen gewählte Abgeordnete außerordentlich wichtig. Damit wird ein unmittelbarer Bezug zur Wahlbevölkerung sichergestellt“, sagte der CDU-Abgeordnete Ansgar Heveling. Das Thema Wahlrechts- und Parlamentsreform eignet sich also bestens, um gängige Vorurteile zu bestätigen und zu vertiefen. Man muss es nur weiter verschleppen, sich vor Konsequenzen drücken, eigene Nachteile vermeiden. Peter Altmaier ist dabei fein raus. Er hat seinen Reformeifer bewiesen – auf dem Papier.
Die Bremer haben auf diesem Gebiet bekanntlich schon eigene Erfahrungen gemacht. Etwa Anfang der 1980er-Jahre wurde die Verkleinerung der Bremischen Bürgerschaft andiskutiert, und, zack, schon gut 20 Jahre später waren es 17 Parlamentarier weniger.
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