
Umso länger diese Pandemie dauert, desto verfahrener, ja aussichtsloser erscheint die Situation für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Für den einzigen Ausweg aus dem längst überstrapazierten Ritual der immerwährenden Lockdowns wäre ausreichend Impfstoff nötig. Doch den gibt es nicht. So sehr sich die 27 Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfeltreffen auch bemühten, das Defizit herunterzureden und Hoffnungsbotschaften zu verbreiten, so offenkundig wurde doch, dass die Abhängigkeit von den Unternehmen übermächtig ist. Und so entsteht unter dem Druck, gegenüber dem heimischen Publikum trotzdem als Macher dazustehen, nur neuer Streit – wie ihn der österreichische Bundeskanzler mit seiner unsinnigen These von der ungerechten Verteilung ausgelöst hat. Sebastian Kurz hat auf das falsche Vakzin gesetzt, das ist sein Problem.
Hinzu kommt die wachsende Frustration über das eigene Gutmenschentum, an das sich offenbar außer den Europäern niemand mehr hält. Die EU ist der einzige Block, der Impfstoffe exportiert, obwohl diese in den eigenen Ländern genauso dringend gebraucht werden. Im ersten Quartal standen den 27 Mitgliedstaaten 88 Millionen Dosen zur Verfügung, 77 Millionen wurden ausgeführt. Da kommen Fragen auf. Internationale Allianzen halten nicht mehr: Man kauft sich gegenseitig die ersehnten Vakzine weg, ohne über den Tag hinaus zu denken. Denn der Kampf gegen diese Pandemie ist erst gewonnen, wenn sie überall besiegt worden ist.
Die Europäische Union gibt sich stark. Ein Instrument zur Exportkontrolle soll den Ausverkauf der auf europäischem Boden hergestellten Vakzine verhindern. Doch wer das Instrument exzessiv nutzt, muss damit rechnen, dass andere die Lieferung der Rohmaterialien blockieren. Gewonnen wäre nichts. Eine eigene Impfstoff-Industrie aufzubauen, wie es beim EU-Gipfel beschlossen wurde, klingt nach einem guten Konzept. Mit etwas Glück kann das wirken, wenn die zweite Impfstoff-Generation für längst mutierte Viren benötigt wird. Bis dahin braucht die EU Geduld, Hoffnung und Partner in der Pharma-Industrie, die sich an Verträge halten.
Es steht zu befürchten, dass viele Menschen diesen Moment nicht mehr erleben, weil sie dem Virus vorher zum Opfer gefallen sind. Europa weiß, dass es trotz dieser Herausforderungen nicht auseinanderfallen darf, weil sonst die weniger starken Mitglieder auf sich allein gestellt wären. Also muss man zusammenhalten, so schwer das angesichts der Verlockung auch fallen mag, Verantwortliche und Sündenböcke für Fehler zu finden.
Die EU-Verantwortlichen haben einen richtigen Weg eingeschlagen, auch wenn man den hinter dem sperrigen und nichtssagenden Begriff „Hera Inkubator“ wirklich nicht vermutet. Es ist der Versuch, Verfahren zu beschleunigen, die Bürokratie herunterzufahren, ohne Sicherheitsauflagen preiszugeben. Man wird über das bisherige Miteinander von Unternehmen und öffentlicher Hand reden müssen, um eine derartige Hilflosigkeit gegenüber den Konzernen nicht noch einmal zu erleben. Es ist gelinde gesagt eine Überraschung, dass die Branche sich zwar geschlossen zeigt, wenn es um den Widerstand gegen ein Exportverbot geht, aber nicht mit dem gleichen Elan gegen dubiose Lieferpraktiken in den eigenen Reihen Position bezieht.
Die Vertreter der Europäischen Union müssen umdenken. Dies ist nicht die Zeit für internationale Konfrontation, sondern Koordination. Die zuständigen Organisationen – von der Weltgesundheitsorganisation über die Welthandelsorganisation und die G7 bis zur G20 – haben sich als zahnlos erwiesen. Keines dieser Gremien ist bisher in der Lage, eine internationale Zusammenarbeit zu entwickeln, die allen hilft: den wohlhabenden Industrienationen ebenso wie den Ärmsten. Und auch die Frontmänner und -frauen der EU haben sich bisher nicht durch eine intensive Impfstoff-Vermittlungsdiplomatie hervorgetan. Das Bekenntnis zum europäischen Weg ist richtig, aber ohne gleichzeitige Initiativen für einen globalen Weg wenig wert. Das ist deswegen folgenschwer, weil eine solche Kooperation allen zugutekäme – also auch den Europäern selbst.
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