
Am Tag drei nach der Einigung auf eine Grundrente ist die Euphorie großer Ernüchterung gewichen. Mag die schwarz-rote Koalition auch weiterhin ihren Kompromiss vom vergangenen Sonntag feiern, die Deutsche Rentenversicherung (DRV) schlägt Alarm: Das Gesetz noch gar nicht richtig fertig, die Finanzierung wackelig, die praktische Umsetzung eine Gleichung mit vielen Unbekannten, so lautet das erste Fazit, das die DRV-Spitze am Mittwoch in Würzburg gezogen hat. Präsidentin Gundula Roßbach stellte zwar klar, alles zu tun, damit die Grundrente ab dem geplanten Inkrafttreten am 1. Januar 2021 auch an alle bezugsberechtigten Rentnerinnen und Rentner ausgezahlt werden könne. Ob aber der Termin aus DRV-Sicht wirklich zu halten ist, das ließ sie offen.
Nachdem nun die Koalition die Grundrente beschlossen hat, liegt der Ball im Spielfeld der Rentenversicherung. CDU/CSU und SPD haben ihr die verwaltungstechnische Umsetzung aufgetragen. Eine Aufgabe, die die Rentenversicherung nie übernehmen wollte und vor dessen enormen bürokratischen Folgen sie schon seit Längerem gewarnt hat. Zukünftig wird sie also zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen für den Bezug einer Grundrente (35 Beitragsjahre inklusive Kindererziehung und Pflege) überhaupt vorliegen. Dazu muss der gesamte Altersrentenbestand, immerhin gut 18,2 Millionen, durchgearbeitet werden.
Hinzu kommt, dass die Rentenversicherung nach dem Beschluss der Koalition auch eine Einkommensprüfung vornehmen soll, die anstelle der ursprünglich im Koalitionsvertrag angedachten Bedürftigkeitsprüfung in das neue Gesetz hineingeschrieben wurde. Über die dazu notwendigen Informationen verfügt die DRV aber gar nicht. Deshalb ist ein „automatisierter und bürgerfreundlicher“ Datenaustausch zwischen Rentenversicherung und Finanzbehörden geplant. Eine Mammutaufgabe.
DRV-Präsidentin Roßbach erinnert denn auch daran, dass der Aufbau vergleichbarer Verfahren in der Vergangenheit „in der Regel mehrere Jahre gedauert hat“. Kann damit die Grundrente überhaupt zum 1. Januar 2021 starten? Roßbach lässt die Frage unbeantwortet, sprich aber von einem „ambitionierten“ Ziel und von einem „relativ kurzen Zeitraum“ für die Entwicklung einer vollautomatisierten Lösung. Zumal ein solches Verfahren auch erst nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens beginnen kann.
Das aber kann dauern. Zum einen ist das Gesetz nämlich zustimmungspflichtig. Weil bei der Einkommensprüfung die Finanzverwaltungen der Länder involviert sind, muss der Bundesrat mehrheitlich sein Okay geben. Zum anderen ist die von der Koalition angedachte Gleitzone (eine Aufweichung der 35 vorgeschriebenen Beitragsjahre) bisher nicht konkretisiert worden. Ein weiteres großes Problem der DRV ist, dass für den möglichen Bezug einer Grundrente auch das Einkommen des Lebenspartners wichtig ist. Da es in der Rentenversicherung aber in der Regel keine Verknüpfung der Rentenkonten von Ehepartnern gibt, müssen diese Daten elektronisch von den Meldebehörden zugeliefert werden. Andernfalls befürchtet Roßbach „eine massive Ausweitung der Sachbearbeitung“. Ihr Fazit: Weitgehend automatisierte Verfahren zwischen Rentenversicherung und Melde- und Finanzbehörden seien eine „entscheidende Voraussetzung dafür, die Grundrente mit Einkommensprüfung mit vertretbarem Aufwand administrieren zu können“. Sollte es in der knappen Zeit bis zum Stichtag 1. Januar 2021 nicht dazu kommen, geht die DRV-Präsidentin „von einem Mehrbedarf von mehreren tausend zusätzlichen Stellen bei der Rentenversicherung aus“.
Mit Skepsis betrachtet die Spitze der Rentenversicherung auch die angekündigte Finanzierung der Grundrente. 1,5 Milliarden Euro soll sie im Jahr der Einführung kosten. Durch eine Finanztransaktionssteuer soll sie finanziert werden. Die aber muss erst noch beschlossen werden. Und selbst dann ist nicht klar, ob sie die Finanzierung auch sichert. Alexander Gunkel, derzeitiger Vorsitzender des DRV-Bundesvorstands, ist vorsichtig. Er hat Sorge, dass die Bundesregierung letztlich doch wieder, wie bei der Mütterrente, eine nicht beitragsgedeckte Leistung aus der Rentenkasse und nicht aus Steuermitteln zahlt.
Bei allen Unwägbarkeiten, die den schwierigen Start der Grundrente begleiten, gibt es aber jetzt schon Finanzportale, die mit dem Thema auf sich aufmerksam machen. „Wie hoch ist die neue Grundrente, und wer hat Anspruch? Jetzt kostenlos berechnen...“, schreibt ein Portal. Wann aber wird das seriös möglich sein? Die Sorgen der Rentenversicherung werden schon bald die Sorgen der Politik sein.
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