
Es ist Eva Högls erster Jahresbericht als Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages – und der 62. in der Geschichte des Landes. Am Dienstagvormittag stellt die SPD-Politikerin den 150 Seiten starken Bericht der Öffentlichkeit vor. Högl hat das Amt vor neun Monaten von ihrem Kieler Kollegen Hans-Peter Bartels übernommen. Die Berufung der Berliner Rechtspolitikerin durch den neuen SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich löste seinerzeit ein internes Erdbeben aus. Der versierte Bartels war zutiefst verstimmt. Und der Hamburger Haushaltspolitiker Johannes Kahrs, der sich bereits als neuer Wehrbeauftragter gesehen hatte, legte gar sein Bundestagsmandat und sämtliche politischen Ämter nieder.
Dass dieser Streit um ihre Position Eva Högl eingeschüchtert hätte, lässt sie am Dienstag in der Bundespressekonferenz nicht einmal ansatzweise erkennen. Die Lage der Bundeswehr im Corona-Jahr 2020 ist nicht der Moment für Eitelkeiten. Dafür ist der Befund einfach zu schlecht. „Der Jahresbericht“, sagt Högl, „beschreibt die bekannten, seit Jahren bestehenden und leider weiterhin aktuellen Probleme der Bundeswehr: zu wenig Material, zu wenig Personal, zu viel Bürokratie.“
Die oftmals fehlende oder schlechte Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten sei „inakzeptabel“. Der Mangel fange bei fehlenden Kälteschutzanzügen an, reiche über gesundheitsgefährdende Unterkünfte bis zu nicht einsatzfähigen Fahrzeugen, Hubschraubern und Schiffen.
3907 Eingaben haben Soldatinnen und Soldaten im zurückliegenden Jahr bei der Wehrbeauftragten eingereicht. Der weit überwiegende Teil kommt von unteren Dienstgraden, also Unteroffizieren und Mannschaften. Aber auch Familienangehörige und Reservisten melden sich zu Wort.
Einen neuen Höchststand erreicht mit 477 die Zahl gemeldeter Verdachtsfälle von Rechtsextremismus in der Bundeswehr durch den Militärischen Abschirmdienst (MAD). Der Jahresbericht des MAD, der dem Bundesverteidigungsministerium untersteht, hatte für 2019 noch 363 neue Verdachtsfälle genannt. Auch im Bereich der sogenannten Reichsbürger stiegen die Meldungen von 16 im Jahr 2019 auf nun 31. Im Bereich Islamismus sanken die Zahlen dagegen von 77 auf nun 31. Zur Rolle des MAD erklärte Eva Högl, sie wisse, dass es diesbezüglich Skepsis gebe, aber „dieser Nachrichtendienst erfüllt bei der Extremismusabwehr eine wichtige Funktion und sollte personell weiter gestärkt werden“.
Die neuen Zahlen zeigten, dass beim Thema Rechtsextremismus weiter Handlungsbedarf in allen Bereichen der Bundeswehr bestehe, so Högl. „Es braucht Aufklärung, Sanktion und Prävention – und zwar konsequent, lückenlos und zügig. Das ist eine Daueraufgabe in der gesamten Gesellschaft und somit auch in der Bundeswehr.“ Politische Bildung sei der Schlüssel und müsse „integraler Bestandteil im Dienstalltag sein“.
Eine genaue Aufklärung verlangt Eva Högl bei den Vorwürfen gegen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) in Calw. Notwendig sei jetzt „absolute Transparenz“. Das KSK ist in den vergangenen Jahren von mehreren Skandalen erschüttert worden, bei denen es auch um rechtsextreme Vorfälle in der Truppe ging. Seit vergangener Woche steht besonders KSK-Kommandeur Markus Kreitmayr in der Kritik. Obwohl er im Mai 2020 mit einem offenen Brief selbst für Transparenz gesorgt hatte, wird ihm nun angelastet, dass noch vor dieser Öffentlichmachung Soldaten gehortete, womöglich gestohlene Munition in Kisten werfen konnten, ohne dass dies weitere Konsequenzen hatte. Die Rede ist von einer internen „Amnestie“.
Högl zeigt sich angesichts dieser Vorwürfe bestürzt. Den von Kreitmayr selbst eingeleiteten Reformprozess betrachte sie mittlerweile „mit Sorge“. In einem ihr vorgelegten Zwischenbericht von Anfang November 2020 sei „diese Aktion“ gar nicht aufgetaucht. „Da sind alle Beteiligten erklärungsbedürftig, bis zum Bundesministerium.“ Högl erinnert an die Worte der zuständigen Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Diese hatte noch im Juli gesagt, das KSK sei nach den Vorwürfen rechtsextremer Unterwanderung „auf Bewährung“. Wie es tatsächlich um den Aufklärungswillen der Eliteeinheit stehe, werde sich Mitte März zeigen, sagt Högl. Dann soll ein neuer Zwischenbericht zu den Vorgängen in Calw vorliegen.
Doch es gibt an diesem Dienstag auch Positives zu vermelden. Wiederholt lobt die Wehrbeauftragte den Einsatz der Bundeswehr bei der Bewältigung der Pandemie. Zum einen seien Ausbildungen verschoben, verkürzt oder ganz abgesagt worden. Die Quarantänen vor und in Auslandseinsätzen seien harte, aber leider notwendige Herausforderungen gewesen. Für Unruhe in der Truppe habe zudem gesorgt, dass die alljährliche Auswahlkonferenz für Feldwebel ausgefallen sei.
Großartig jedoch sei die tatkräftige Hilfe für pandemiegebeutelte Kommunen gewesen. Bis Ende 2020 haben 11.400 Soldatinnen und Soldaten vor Ort geholfen, wenn es um Corona-Tests, Impf- und Transportlogistik ging. „Sogar die Militärmusik war am Start und hat vor Senioreneinrichtungen gegen Einsamkeit angespielt.“ Gleichwohl fordert die Wehrbeauftragte eine kritische Analyse für die Zukunft, was Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe anbelangt.
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