
Der Streit zwischen Deutschland und Frankreich über die EU-Erweiterung hallt noch nach. Nachdem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beim letzten EU-Gipfel im Oktober den Beginn von Beitrittsgesprächen mit Nordmazedonien und Albanien gegen den Willen einer Mehrheit der EU-Staaten blockiert hatte, sprachen sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die designierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Freitag in Berlin für eine enge Anbindung der beiden Länder an die Europäische Union aus.
Es sei „extrem wichtig, dass diese Länder die Hoffnung auf die Beitrittsperspektive nicht verlieren“, sagte Merkel nach einem Gespräch mit von der Leyen im Kanzleramt mit Blick auf Albanien und Nordmazedonien. Auch von der Leyen erklärte, es sei „von großer strategischer Bedeutung“, die Länder des westlichen Balkans „so nah wie möglich“ an die EU zu binden. Sie erinnerte daran, dass Albanien und Nordmazedonien „unglaubliche Anstrengungen“ unternommen hätten, um für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen bereit zu sein. Die designierte Kommissionschefin sprach sich für gemeinsame EU-Projekte mit den beiden Ländern aus, falls die Beitrittsgespräche noch länger auf sich warten lassen. Den Beginn solcher Verhandlungen hatte auch schon die scheidende EU-Kommission empfohlen. Allerdings haben die Mitgliedstaaten das letzte Wort, und da stellte sich vor allem Macron quer – obwohl sich nicht zuletzt Merkel beim letzten EU-Gipfel vehement für den Start der Beitrittsgespräche eingesetzt hatte.
Zudem erklärte von der Leyen im Kanzleramt, sie wolle in enger Absprache mit den europäischen Mitgliedstaaten im ersten Halbjahr 2020 einen Vorschlag für einen EU-Migrationspakt vorlegen. Der Stillstand auf europäischer Ebene müsse überwunden werden, erklärte sie. Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei lehnen die Verteilung von Flüchtlingen in der EU nach einer Quote ab.
Am Freitagabend führte von der Leyen bei ihrer Europa-Rede auf Einladung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung und der Stiftung Zukunft Berlin in der Hauptstadt ihre Überlegungen zur künftigen Migrationspolitik noch weiter aus. Auch denjenigen Staats- und Regierungschefs in der EU, die den Verteilmechanismus blockieren, sei klar, „dass das Phänomen der Migration nicht einfach weggeht“, sagte sie. Es sei eine „gute Nachricht“, dass auch den Gegnern eines Verteilmechanismus klar sei, dass jeder Mitgliedstaat solidarisch zu einer nachhaltigen Lösung beitragen müsse. „Ich glaube, dass es ein Fenster für einen Neustart beim Thema Migration gibt“, betonte sie. Allerdings fügte von der Leyen auch hinzu: „Eine einfache Lösung habe ich auch nicht im Köcher.“
Zudem erklärte die designierte Kommissionschefin, dass „soft power“ heute für die Europäer alleine nicht mehr ausreiche, wenn sie sich in der Welt behaupten wollten. „Europa muss auch die Sprache der Macht lernen“, sagte sie. Das bedeute unter anderem, dass die EU „eigene Muskeln aufbauen“ müsse, „wo wir uns lange auf andere stützen konnten – etwa in der Sicherheitspolitik“. Darüber hinaus müsse die vorhandene Kraft gezielter eingesetzt werden, wo es um europäische Interessen gehe. Als Beispiel nannte von der Leyen die Handelsbeziehungen zwischen der EU und China. „Wir können die Bedingungen beeinflussen, zu denen wir Geschäfte machen – und wir tun dies längst“, erklärte sie. Die EU müsse künftig stärker darauf achten, dass sich Unternehmen, die in den Ländern der Gemeinschaft investieren, auch an die hiesigen Standards halten, etwa was Arbeitsbedingungen und Umweltschutzvorschriften angehe.
Eigentlich hätte von der Leyen bereits zum 1. November die Nachfolge von Kommissionschef Jean-Claude Juncker antreten sollen. Allerdings fielen drei Kandidaten für ihre künftige Kommission aus Frankreich, Rumänien und Ungarn durch: Die Französin Sylvie Goulard fand keinen Anklang bei den Anhörungen im Europaparlament, weil ihr eine Scheinbeschäftigungsaffäre aus ihrer Zeit als EU-Parlamentarierin bis heute zu schaffen macht. 2017 hatte Goulard wegen dieser Affäre als Verteidigungsministerin zurücktreten müssen. Die Kandidaten aus Ungarn und Rumänien, Laszlo Trocsanyi und Rovana Plumb, waren indes im Europaparlament bereits an der ersten Hürde im Rechtsausschuss gescheitert.
Zuletzt hatte sich Kommissionssprecher Eric Mamer optimistisch gezeigt, dass von der Leyen nun tatsächlich am 1. Dezember ihr Amt antreten kann. Doch ob dies gelingt, hängt davon ab, wie die Anhörungen der drei neuen Kandidaten aus Frankreich, Rumänien und Ungarn verlaufen. Ungarn hat den Diplomaten Oliver Varhelyi für den Posten des EU-Erweiterungskommissars nominiert. Bukarest schlug derweil Adina-Ioana Valean für die Besetzung der Brüsseler Spitze vor; die Europaabgeordnete soll Verkehrskommissarin werden.
Macron hat Ex-Wirtschaftsminister Thierry Breton, der bisher Chef des IT-Unternehmens Atos ist, für das Amt des Binnenmarktkommissars vorgeschlagen. Da Breton inzwischen seine Anteile an dem Unternehmen Atos verkauft hat, könnte es sein, dass er die bevorstehende Anhörung im Europaparlament besser übersteht als die ehemalige Kandidatin Goulard.
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