
Am kommenden Montag ist Schluss mit lustig. Die „New York Times“ – sicher eine der wichtigsten Zeitungen der Welt – hat dann die Stilform der politischen Karikatur auch in ihrer internationalen Ausgabe ausgemerzt. Das martialische Verb ist angebracht, denn es handelt sich um eine beispiellos radikale Reaktion auf Proteste. Man hat nicht etwa nur die Zusammenarbeit mit jenem Zeichner beendet, dessen Cartoon das Missfallen galt – nein, man hat gleich das ganze Format gekippt. Sippenhaft für eine ganze Zunft. Dort, wo man sich von Kritik grundsätzlich gestört fühlt, wird man feixen.
Was war zuvor geschehen? Am 25. April druckte die NYT in ihrer internationalen Ausgabe eine Karikatur des portugiesischen Zeichners Antonio Moreira Antunes. Sie zeigt Donald Trump als Blinden mit Kippa, der von einem Dackel als Blindenhund geführt wird. Der Dackel wiederum trägt die Züge von Israels Premier Benjamin Netanjahu, ein Davidstern ziert sein Halsband. Übelster Nazi-Humor? So scheint es, wenn man die umfassende Erregung und schließlich die Reaktion des Verlages zugrunde legt.
Dani Dayan, Israels Generalkonsul in New York, und US-Vizepräsident Mike Pence waren sofort auf der Zinne. Empörung ist allerdings auch Teil ihres Jobs, wenn ihre Staaten angegriffen werden – und sei es mit Tusche und Feder. Eine Zeitung, die sich sonst gerne liberal, unabhängig und vor allem gegenüber Trump widerständig gibt, sollte sich dann aber nicht gleich zerknirscht in den Staub werfen. Genau dies hat die ehrenwerte NYT jedoch getan: Antunes Cartoon sei „offensichtlich bigott“, sein Abdruck belege „eine Abgestumpftheit, die zum Fürchten“ sei, entschuldigte man sich.
Nun kann man über Geschmack immer streiten, über offensichtliche Bigotterie auch. Letztere herrscht, wenn man die Mohammed-Karikaturen von Paul Westergaard und Co. verteidigt, Solidarität mit den von Islamisten massakrierten „Charlie Hebdo“-Zeichnern bekundet – aber bei jeder Karikatur, die Menschen jüdischen Glaubens oder anderer Hautfarbe betrifft, erst einmal vermeintlich antisemitischen und rassistischen Stereotypen nachspürt.
Diese Correctness-Keule wird nicht nur in New York gerne geschwungen. Als im vorigen September Tennis-Star Serena Williams während der US Open völlig ausrastete, karikierte Mark Knight dies in Rupert Murdochs konservativer „Herald Sun“. Das linksliberale Establishment schäumte: Knight bediene sexistische, rassistische Klischees. An der Tatsache, dass Williams schwarz, groß, athletisch und sehr impulsiv ist – wie von Knight gezeichnet – ändert das nichts.
Als deutsches Pendant zur NYT kann man die „Süddeutsche Zeitung“ bezeichnen, und auch sie plagt sich regelmäßig mit dem Format der politischen Karikatur. Vor einem Jahr trennte man sich vom langjährigen Zeichner Dieter Hanitzsch. Der hatte ebenfalls Netanjahu gezeichnet, im Eurovisions-Kostüm der israelischen Sängerin Netta, dabei eine Rakete mit Davidstern schwingend. Im Deutschlandfunk schwurbelte der Kulturphilosoph Christian Demand dann etwas vom „Formenrepertoire nationalsozialistischer Judenhetze“ – nicht ohne pflichtschuldigst zu betonen, dass Kritik an Israel „selbstverständlich legitim“ sei.
Ärger bekam die SZ schon, als sie Facebook-Gründer Mark Zuckerberg als Datenkrake darstellte. Die Krake sei ein Versatzstück der NS-Propaganda, hieß es prompt. Wäre sie es das auch gewesen, wenn der Spott nicht dem bekennenden Juden Zuckerberg, sondern dem eher religionsfernen Amazon-Gründer Jeff Bezos gegolten hätte? Wo geht gebotene Behutsamkeit in Selbstzensur über? Ist der Strippenzieher, der Marionettenspieler auch tabu, weil es im Nazi-Hetzblatt „Stürmer“ einschlägige Zeichnungen gab (die freilich wiederum ältere Vorbilder hatten)?
Die Vertreter der Correctness haben das Gelände gründlich vermint. Die Autorin Sarah Pines verteidigt die Entscheidung der NYT mit Verve: „Sie muss die Grundgedanken der bedingungslosen politischen Korrektheit konsequent weiterführen, auch wenn dabei die uneingeschränkte Meinungsfreiheit geopfert werden muss.“ Also vor allem kein Humor mehr, keine ironischen Spitzen, keine Zweideutigkeiten. Das sind erschreckend totalitäre Forderungen. In einem Rechtsstaat sollte allein das Strafrecht die Meinungsfreiheit einschränken.
Eine gute Karikatur ist die kürzeste, schönste und schärfste Form des Kommentars. Wer darauf verzichtet, gibt ein Stück Meinungsfreiheit preis. Das kann niemals im Sinne eines aufgeklärten, kritischen Publikums sein.
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