
Brüssel. Ursula von der Leyen lächelte. Eben hatte ihr ein Abgeordneter aus den Reihen der Liberalen gesagt, sie solle doch „bitte mal konkret mit Ja oder Nein antworten“, anstatt nur allgemein zu bleiben. Und dann sagte sie brav Ja zu einem demokratischen Aufbruch Europas, zu einer vertraglichen Absicherung des Spitzenkandidaten-Modells, damit „das nicht wieder passiert, was wir jetzt erlebt haben“. Soll heißen: Dass jemand wie sie von den Staats- und Regierungschefs an allen Spitzenkandidaten vorbei aus dem Hut gezaubert und als nächste Kommissionspräsidentin vorgeschlagen wird.
Dieser Mittwoch war der vielleicht wichtigste Tag auf dem Weg an die Spitze der mächtigsten EU-Behörde. Von der Leyen stellte sich den Fragen der Fraktionen. „Wir hatten einen guten und offenen Austausch mit ihr“, bestätigte die Chefin der Sozialdemokratin, die Spanierin Iratxe García. „Sie hatte viele brauchbare Ansätze“, bilanzierte der Chef der „renewEU“-Fraktion, Dacian Ciolos. Das Parteienbündnis ist aus den Liberalen hervorgegangen.
Geduldig hatte von der Leyen zuvor erklärt, wie sehr sie die bisherige EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager schätzt und ihr deshalb eine „herausragende Position“ in der nächsten Kommission geben will. Erster Vizepräsident soll aber Frans Timmermans werden, der die Sozialdemokraten in die Europawahl geführt hatte. Und noch ein Versprechen kam an: „In meiner Kommission werden zur Hälfte Frauen und zur Hälfte Männer sitzen.“ Einen derart ausgeglichenen Anteil gab es noch nie.
Beim Klimaschutz will die designierte Kommissionspräsidentin auf Klimaneutralität bis 2050 hinarbeiten, obwohl dieses ehrgeizige Ziel gerade erst im Kreis der Staats- und Regierungschefs gescheitert war. In Sachen Asyl und Migration sprach sie sich für gemeinsame Regeln aus, ohne sagen zu können, wie sie die erreichen möchte. Bei der Verteidigungsunion erteilte sie einer Europäischen Armee eine Absage, betonte stattdessen, sie strebe eine „Armee der Europäer“ an. Ein kleiner, aber feiner Unterschied, der deutlich machen soll, dass die EU eben nicht aufrüsten werde. Für Afrika forderte sie eine „intensive Nachbarschaftspolitik“ sowie europäische Unterstützung bei der Errichtung demokratischer Strukturen und wirtschaftlichem Aufbau. In der Außenpolitik sollen künftig Mehrheitsentscheidungen möglich sein, um sich durch den Zwang zur Einstimmigkeit nicht zu blockieren. Ob das reicht?
„Ich weiß, dass wir natürlich einen holprigen Start hatten“, sagte die Kandidatin. „Dessen bin ich mir absolut bewusst. Ich kann die Vergangenheit nicht heilen, es ist eine Tatsache.“ Will heißen: Tragt mir das nicht nach, ich kann nichts dafür. Allerdings gibt gerade von der Leyens Situation als Kaltstarterin den Verfechtern des Spitzenkandidatenprinzips recht. Die beiden Hauptbewerber, Manfred Weber von der Europäischen Volkspartei und Timmermans von den Sozialdemokraten, mussten sich schon im Wahlkampf zu allen erdenklichen Fragen erklären, auch im deutschen Fernsehen, sodass man am Ende sagen konnte: Die Wähler kennen die Bewerber und wissen, was sie kriegen. Von Ursula von der Leyen wusste das bisher niemand.
Die Stimmen der eigenen christdemokratischen Parteienfamilie dürfte von der Leyen sicher haben, wenn sie am kommenden Dienstag in Straßburg ihre große europapolitische Bewerbungsrede hält. Dann ziehen sich die Fraktionen zur Beratung zurück. Um zwölf Uhr wird gewählt. Aus dem Kreis der EKR-Reformer, zu denen auch die polnische Regierungspartei PiS gehört, kann sie wohl ebenfalls mit Stimmen rechnen. Offenbar auch von den britischen und spanischen Sozialdemokraten, die Madrids Premier Pedro Sánchez für von der Leyen zu überzeugen versucht, während die deutschen SPD-Europapolitiker bisher weiter an ihrer einhelligen Ablehnung festhalten. Deren Vorsitzender, Jens Geier, sprach anschließend von einer „Luftnummer“. Die „renewEU“-Abgeordneten will sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron noch vornehmen, von dem der Personalvorschlag von der Leyen stammt. Die Grünen zeigten sich am Mittwochabend abwartend bis skeptisch. 376 Stimmen braucht von der Leyen. Ihre eigene politische Familie steuert gerade mal 182 bei.
In Brüssel ist zu hören, dass es am Ende nicht nur auf ihre Antworten bei den Anhörungen und ihre Rede am Dienstag ankommen werde, sondern auch auf Nebenabsprachen hinter verschlossenen Türen. Nach Informationen des WESER-KURIER gehören dazu auch Personalfragen. So habe die eigene christdemokratische Fraktion beispielsweise von der Ministerin verlangt, den umstrittenen bisherigen Generalsekretär der Kommission und Juncker-Vertrauten Martin Selmayr sofort zu entlassen. Hinzu kommen Forderungen, bei allem Ehrgeiz in Sachen Klimaschutz die Situation der Industrie nicht aus den Augen zu verlieren, damit keine Jobs verloren gehen. Von der Leyen muss aus all dem ein überzeugendes Paket schnüren. Dieser Mittwoch war auf dem Weg dahin schon mal kein Rückschritt.
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