
Die Bedrohung von Kommunalpolitikern durch Extremisten wächst sich in Deutschland zu einem flächendeckenden Problem aus. Im niedersächsischen Estorf ist zum Jahreswechsel Arnd Focke als Bürgermeister zurückgetreten. Sein Privatauto sei mit Hakenkreuzen beschmiert worden, zudem seien Zettel mit der Aufschrift „Wir vergasen Dich wie die Antifa“ in seinen Briefkasten geworfen worden, sagt Focke. Der 48-jährige SPD-Politiker war fast acht Jahre lang Bürgermeister der 1700-Einwohner-Gemeinde im Kreis Nienburg. Er hatte sich mehrfach öffentlich gegen Rechtsextremismus positioniert. Jetzt ermitteln Polizei und Staatsschutz.
„Seit 2015 hat sich die Bedrohung für Kommunalpolitiker enorm verschärft – besonders für die, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren“, sagt Marc Elxnat, Referatsleiter beim Deutschen Städte- und Gemeindebund. Das Ausmaß zeigte eine Umfrage für „Report München“, an der sich mehr als 1000 Bürgermeister beteiligten. Demnach hatten mehr als 40 Prozent der kommunalen Verwaltungen Erfahrungen mit Hassmails, Einschüchterungsversuchen oder anderen Übergriffen gemacht. In acht Prozent der Gemeindeverwaltungen kam es zu körperlichen Attacken. „Sollte die Bedrohungslage so bleiben, könnte das langfristig dazu führen, dass sich immer weniger Menschen als Kommunalpolitiker engagieren“, sagt Elxnat. Neben rechtem Hass sei auch Unverständnis über politische Entscheidungen Grund für Attacken. „Es gibt Bürgermeister, die angegriffen werden, weil sie sich für den Ausbau erneuerbarer Energien einsetzen.“
Der Städte- und Gemeindebund macht für den zunehmenden Hass und die Gewalt gegen Mandatsträger etwa den raueren Ton in der politischen Auseinandersetzung und die Polarisierung in der Gesellschaft verantwortlich. Die sozialen Medien als Echokammer seien ein weiterer Faktor. Hier finde sich „für jede noch so groteske Meinung ein Verbündeter“. Die Suche nach Anerkennung durch Provokation stehe im Vordergrund und immer öfter auch das Brandmarken einzelner Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens „als Projektionsfläche für die eigene Unzufriedenheit“. Ein Großteil der Bürger sehe den Staat als reinen Dienstleister.
Ein Bürgermeister aus einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen hat inzwischen sogar einen Waffenschein beantragt, um sich vor Neonazis zu schützen, wie die „Rheinische Post“ berichtet. Der Mann, der seinen Namen nicht nennen will, fühlt sich seit dem Europawahlkampf im Mai 2019 massiv bedroht. Er hatte dafür gesorgt, dass Wahlplakate der rechtsextremen Kleinpartei „Die Rechte“ abgehängt werden. Die Mitglieder reagierten empört, im Internet nannten sie steckbriefartig die Dienstadresse des Bürgermeisters, Telefonnummer, das Dienstzimmer. Rechtsextreme kündigten an vorbeizukommen.
Angriffe auf Politiker kommen nicht nur aus dem rechten Spektrum: Die Sicherheitsbehörden haben im zweiten Quartal 2019 insgesamt 372 Angriffe auf Repräsentanten politischer Parteien registriert. Allein 181 Angriffe zielten auf AfD-Politiker. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der AfD-Fraktion hervor. CDU-Repräsentanten waren in 56 Fällen betroffen, die SPD in 45, die Grünen in 32, die Linke in 20, die FDP in elf und die CSU in vier Fällen.
Der Städte- und Gemeindebund spricht sich laut Elxnat dafür aus, den Straftatbestand des „Politiker-Stalkings“ einzuführen, um das „amt- und mandatsbezogene Nachstellen“ zu verhindern. Es sei aber auch nötig, dass solche Straftaten dann konsequent verfolgt würden und man über Verurteilungen berichte. Die Polizeidirektion Oldenburg warnt derweil davor, sich durch den „Kauf einer Waffe ein trügerisches Sicherheitsgefühl zu verschaffen. Dies könnte sogar zu einer Eskalation führen. Unser Appell lautet, sich in solchen Fällen vertrauensvoll an die Polizei zu wenden“, heißt es.
Beim Neujahrsempfang der Bremischen Bürgerschaft am Dienstag warnte Bürgerschaftspräsident Frank Imhoff (CDU) vor den Folgen der zunehmenden Radikalisierung im Internet. Dort tobe „ein grelles Ringen um Aufmerksamkeit“, sagte er. Imhoff: „Der Zustand und die Entwicklung unserer Gesellschaft bereiten mir in diesem Punkt große Sorge.“
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