
Die Hälfte aller Wahlberechtigten sind laut Umfragen noch unentschlossen, darunter viele junge Wähler. Martin Schulz und Angela Merkel hätten das TV-Duell auch dazu nutzen können, gerade diese Gruppe zum Gang an die Wahlurne zu motivieren. Stattdessen demonstrierten unsere Kanzlerkandidaten Kurzsichtigkeit und ließen Identifikationsmöglichkeiten speziell für Jungwähler außer Acht. Merkel, die trotz Kritik vehement ihre Geflüchtetenpolitik verteidigt, macht sich damit für viele jugendliche Wähler potenziell wählbar.
Schulz bringt die EU-Solidarität ins Spiel, versäumt es aber, Europa deutlicher als eines seiner Kernthemen herauszustellen. Heute jung sein bedeutet mobil sein; junge Deutsche sehen sich zunehmend auch als Europäer. Gerade Schulz hätte hier stärkere Akzente setzen können.
Merkel spricht Themen an, die Junge nicht direkt betroffen
Schulz bezeichnet die Integration von Geflüchteten als eine „Generationenaufgabe“, an die damit gemeinte folgende Generation wendet er sich allerdings kein einziges Mal direkt. Da fragt man sich: Wie kann man erwarten, dass Jugendliche zur Wahl gehen, wenn sie nicht einmal angesprochen werden? Einzige Ausnahme: Fast beiläufig spricht sich Merkel gegen, Schulz für ein Wahlrecht ab 16 Jahren aus. Doch das Thema wird so zügig vom Tisch gefegt, dass es untergeht.
Bedauerlich, dass der Bereich „Soziale Gerechtigkeit“ so kurz kommt, Themen wie Bildung oder Klimaschutz werden leider gar nicht erörtert. Immerhin erfreulich, dass Schulz bei den Aussagen Merkels zur Rente etwas nachhakt. Man muss zugeben, dass Merkel sich rhetorisch gut geschlagen hat. Souverän und gelassen kontert sie die Angriffe ihres Herausforderers, suggeriert: „Ich kann das schon“. Er dagegen punktet inhaltlich durch konkretere Ideen und Angriffslust.
Ihre Schlussreden könnten beide verbessern. Merkel resümiert vor allem Themen, die Jugendliche nicht unmittelbar betreffen. Gerade in der Großstadt lebende Jugendliche sehen das Auto in Zeiten von Carsharing, Fahrrad und ÖPNV nicht mehr als unverzichtbar an. Ihr Hinweis auf die Digitalisierung bleibt eine Worthülse. Wer wie junge Leute heute selbstverständlich online unterwegs ist, will da konkretere Aussagen.
Schulz‘ Schlusswort wirkt etwas einstudiert, wenigstens führt er hier aber seine Gedanken zu einem starken Europa etwas weiter aus.
Fazit: Das Duell dieser Ü60-Kandidaten zeigte wieder einmal, wie sehr junge Akteure in der Politik gebraucht werden, damit auch die Interessen der jungen Generation zur Geltung kommen. Das bedeutet: Mischen wir uns mehr ein! Ansonsten werden wir auch in Zukunft Gegenwartsstarre in der Politik erleben müssen.
Unser Gastautor:
Dennis Beltchikov ist 18 Jahre alt, Abiturient des Kippenberg-Gymnasiums und hat sich im diesjährigen Bundeswettbewerb „Jugend debattiert“ gegen 200.000 Jugendliche aus ganz Deutschland durchgesetzt und den ersten Platz erreicht. Der Wettbewerb wird unter anderem von der Hertie-Stiftung veranstaltet.
job4u ist die regionale Plattform, wenn es um Lehren und Lernen geht. Neben dem WESER-KURIER, der Handelskammer und der Handwerkskammer Bremen machen sich hiesige Firmen für junge Leute stark.