
Es ist Dienstagmorgen, Hauptverkehrszeit in Versailles – einem der vielen Pariser Vororte, von denen aus jeden Tag Tausende in die Hauptstadt pendeln. Es herrscht ungewohnte Ruhe. Überfüllt ist nur der Bahnsteig zu dem einzigen Zug, der demnächst fahren soll. „Irgendwann muss ja einer kommen“, sagt ein Pendler und blickt sehnsüchtig das Gleis entlang. Vier von fünf Vorstadtbahnen, so hat man ihm gesagt, sollten ausfallen. Ob in Nantes, Marseille oder Bordeaux – die Medien sprachen von „Phantom-Bahnhöfen“.
Nach einem ersten Streiktag vor knapp zwei Wochen begann dort am Dienstag ein phasenweiser Ausnahmezustand, der an diesem Mittwoch fortgesetzt wird. Mehrere Gewerkschaften der Staatsbahn SNCF haben angekündigt, bis Ende Juni an 36 Tagen in den Ausstand zu treten, meist an zwei Tagen in Folge.
Ein Minimaldienst bleibt jeweils erhalten, doch die Mehrzahl der Züge im Nah- und Fernverkehr fallen schlichtweg aus. Obwohl es sich um anders gelagerte Forderungen handelt, traten am Dienstag zudem zahlreiche Mitarbeiter der Abfallwirtschaft, aus dem Gassektor sowie von Air France in den Ausstand.
Am Streik auf den Schienen beteiligte sich ein Drittel der Bahnbeschäftigten. Der Protest sei „daneben, weil wir bei den Verhandlungen die halbe Strecke schon geschafft hatten“, sagte SNCF-Chef Guillaume Pepy. Ab 9. April werde die Bahnreform in der Nationalversammlung debattiert. Geplant ist, die Staatsbahn, die mit 54,5 Milliarden Euro verschuldet ist, in eine Aktiengesellschaft mit öffentlichem Kapital umzuwandeln und gemäß der von der EU vorgeschriebenen Öffnung des Schienenverkehrs wettbewerbsfähig zu machen.
Besonders umstritten ist das geplante Ende des beamtenähnlichen Eisenbahner-Status‘ für alle neu eingestellten Mitarbeiter, der bislang eine Anstellung auf Lebenszeit, ein frühes Renteneintrittsalter sowie eine vorteilhafte Berechnung der Pensionsbezüge garantiert. Wie schon bei den Maßnahmen zur Liberalisierung des Arbeitsmarktes im vergangenen Sommer will die Regierung unter Präsident Emmanuel Macron schnell voranschreiten.
Die Gewerkschaften werfen ihr vor, kaum Spielraum für Verhandlungen zu lassen. Demgegenüber hat Verkehrsministerin Elisabeth Borne versichert, durchaus den Dialog zu suchen. Bei der Vorstellung der Pläne Ende Februar nannte Premierminister Édouard Philippe die aktuelle Lage der SNCF „alarmierend, um nicht zu sagen unhaltbar“: „Die Franzosen bezahlen immer teurer für einen Service, der immer schlechter funktioniert.“
Im vergangenen Jahr hätten die Steuerzahler 14 Milliarden Euro an öffentlichen Subventionen für den Schienenverkehr ausgegeben. Einem Expertenbericht zufolge sei die französische Staatsbahn im Schnitt rund 30 Prozent teurer als in anderen europäischen Ländern. Kritiker dieser Sichtweise argumentieren, die SNCF habe 2017 ein Umsatzplus von 4,2 Prozent gemacht und den Service durchaus verbessert.
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