
"Wunder werden da jetzt nicht passieren“, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel am Ende, in ihrer unnachahmlich nüchternen Art. Mehr als fünf Stunden hat die Kanzlerin da mit den Ministerpräsidenten und der Pharmaindustrie übers Impfen gesprochen. Es könnte, mag mancher insgeheim vorher gedacht haben, alles viel einfacher sein und schneller gehen, wenn doch nur alle an einem Strang ziehen und der Massenimpfung den ersehnten Schub geben wollen.
Unsichere Liefertermine für den knappen Impfstoff, dauerbesetzte Termin-Hotlines und leer stehende Impfzentren sorgen nämlich seit Wochen für Zoff. Die Bundestagswahl im September rückt auch näher. Die SPD warf Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) jedenfalls schon vor Tagen vor, beim Impfen lange eher Dienst nach Vorschrift gemacht zu haben.
Jetzt ist der „Impfgipfel“ vorbei, und Berlins Regierender Bürgermeister, Michael Müller (SPD), muss einräumen: „Es bleiben angespannte Wochen, die vor uns liegen.“ Beeindruckt haben die Politiker wohl vor allem die Ausführungen der Hersteller, die für die umfangreichste Impfaktion der Republik aufs Tempo drücken –und doch nicht zu viel versprechen wollen.
Einen konkreten Impfplan hatten mehrere Länder gefordert, sodass klar werde, welche Lieferungen wann geplant sind. Doch Spahns Ministerium bremste schon vorher allzu forsche Forderungen schriftlich aus: „Obwohl das Bundesgesundheitsministerium eine längerfristige Planbarkeit regelmäßig anmahnt, sehen sich die Hersteller nicht in der Lage, diese aktuell zu gewährleisten“. Denn die Firmen lieferten einfach direkt aus – gleich nach Produktion, Qualitätsprüfung und Chargenfreigabe.
In der Runde gibt Sierk Poetting von der Biontech-Führung den Ministerpräsidenten dem Vernehmen nach zu verstehen, dass auch mehr Staatsgeld nicht zu mehr Impfdosen geführt hätte: „Mit mehr Geld draufwerfen, wäre wohl nicht viel mehr rausgekommen. Die Produktion hätte man nicht viel früher viel mehr hochfahren können.“ Der bayerische Regierungschef Markus Söder (CSU) meint, die Geduld der Menschen sei gefordert: „Deshalb werden wir das nicht mit der Stechuhr und der Stoppuhr machen können.“ Von den nun 3,5 Millionen an die Länder gegangene Dosen wurden 2,2 Millionen gespritzt.
Hoffnung auf mehr Impfstoff brachte bisher etwa ein vor dem Start befindliches Biontech-Werk in Marburg und eine Kooperation, bei der der Pharmakonzern Sanofi ab Sommer mehr als 125 Millionen Biontech-Dosen liefern will. Doch zuletzt häuften sich schlechte Nachrichten: Erst kündigten Biontech und sein US-Partner Pfizer vorübergehend eine schmalere Lieferung an, dann enttäuschten Astrazenecas Ankündigungen die EU-Kommission. Nun sollen es aber doch die Hälfte von 80 Millionen Astrazeneca-Dosen im ersten Quartal sein. Kurz vor dem Gipfel dann plötzlich gute Nachrichten: Biontech kann im zweiten Quartal möglicherweise bis zu 75 Millionen zusätzliche Dosen liefern.
Bis Mitte Februar sollen alle Pflegeheimbewohner ein Impfangebot erhalten, bis Ende März alle Über-80-Jährigen – bis Ende des Sommers dann alle. So hatte es bisher bereits geheißen. So bekräftigt es Merkel auch jetzt. Denn schon mit den drei bisher zugelassenen Impfstoffen könne 73 Millionen Menschen ein Impfangebot gemacht werden – mit weiteren Zulassungen würden es mehr Dosen. 96,7 Millionen Impfdosen sollen vom Start der Impfkampagne bis zum Ende des ersten Halbjahres geliefert werden – nach einer von Spahns Beamten auf Basis der Herstellerangaben vorgenommenen Schätzung. Im dritten Quartal sollen 126,6 Millionen Dosen folgen – und im vierten 100,2 Millionen Dosen. Den Großteil sollen bis zum Ende des Sommers Biontech/Pfizer liefern.
Weitere Produktion ist vorgesehen – nötig auch wegen vielleicht gebotener Auffrischungen des Impfschutzes und wegen des Bedarfs an veränderten Impfstoffe gegen Virusvarianten.
Die Impfungen vor Ort laufen in der Regie der Länder. In den rund 400 regionalen Impfzentren herrscht noch kein Hochbetrieb. Terminbuchungen werden erst nach und nach angeboten. Bei Impfwilligen gibt es oft Frust, weil viele bei Telefon-Hotlines nicht durchkommen. Regelmäßig hört man Hinweise wie „Aktuell kein Impfstoff mehr verfügbar – derzeit keine weiteren Impftermine buchbar“. Pragmatisch zeigt sich das Saarland - mit gemeinsamen Termin für mehrere Impfwillige. In den nächsten Monaten kommt aber der Moment, in der es soviel Impfstoff gibt, dass er auch in den Hausarztpraxen verimpft werden kann.
In Israel, Großbritannien und den USA wurden bisher mehr Menschen pro Einwohner geimpft als in Deutschland. In den EU-Staaten gibt es weniger große Unterschiede. Weltweit sind die Impfungen ungleich verteilt. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO wurden bisher rund drei Viertel der Dosen in nur zehn Ländern gespritzt. WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus mahnt, es sei nicht richtig, wenn jüngere Erwachsene in reichen Ländern noch vor den Älteren und dem Gesundheitspersonal in den armen Ländern geimpft würden. Experten warnen auch vor Rückschlägen in der Pandemie durch Impfnationalismus: Gegen die Impfstoffe resistente Virusmutationen könnten vor allem in den Ländern entstehen, wo wenig geimpft wird.
Bovenschulte: Wichtig ist Verlässlichkeit
Bis zum 21. September soll allen Bremerinnen und Bremern ein Angebot für die Impfung gemacht werden, einschließlich der zweiten Dosis. Bürgermeister Andreas Bovenschulte gab sich am Montag nach dem Impfgipfel überzeugt davon, diesem Ziel einen Schritt näher gekommen zu sein. „Das Ziel konkretisiert sich immer mehr. Wir müssen das unbedingt erreichen“, sagte er dem WESER-KURIER. Laut Bovenschulte arbeiten Bund und Hersteller an der detaillierten Planung für die Lieferungen in den kommenden Monaten. Zuletzt hatte, wie berichtet, Moderna seine Lieferzusagen revidieren müssen. „Auch der Bund kann nicht in die Zukunft gucken und weiß nicht, ob die Hersteller die Planungen einhalten.“ Bovenschulte erläuterte, es sehe zwar danach aus, dass im zweiten und im dritten Quartal ausreichend Impfstoff zur Verfügung stehe. Wichtig sei aber, dass die Impfdosen verlässlich zum verabredeten Zeitpunkt kämen. Darauf müssten die Länder ihre Kapazitäten ausrichten.
Für neue Unsicherheit sorgt das Auftreten der Virus-Mutation. Dazu Bovenschulte: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass es Mutationen gibt, die noch andere Eigenschaften haben. Die Aussagen der Hersteller sind, dass der Impfstoff gegen die jetzigen Mutationen eine gute Wirkung zeigt.“ Generell sieht der Bürgermeister die Arbeit mit den Impfstoff-Herstellern eher als „weitreichendes Miteinander“ denn als Konflikt. „Natürlich gibt es unterschiedliche Interessenlagen, aber wir sind heute ganz gut zusammengekommen.“
job4u ist die regionale Plattform, wenn es um Lehren und Lernen geht. Neben dem WESER-KURIER, der Handelskammer und der Handwerkskammer Bremen machen sich hiesige Firmen für junge Leute stark.
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