
Die SPD kommt aus der Reserve, es wurde auch Zeit. Andrea Nahles und Olaf Scholz schrecken mitten in der Sommerpause die Union gleich mit drei sozial- und arbeitsmarktpolitischen Forderungen auf, die es in sich haben. Abgelehnte oder geduldete Asylbewerber sollen in Deutschland arbeiten dürfen, wenn sie gut integriert sind. Sanktionen gegen jüngere Hartz-IV-Empfänger sollen abgeschafft werden. Und vor allem: Die Garantie für ein stabiles Rentenniveau soll bis 2040 statt nur bis 2025 gelten. Das ist das Signal: Seht her, die SPD kämpft für soziale Gerechtigkeit!
Der Widerspruch aus der Union kam prompt, und er war einkalkuliert. Bewusst suchen die SPD-Chefin und ihr Stellvertreter, der gleichzeitig Vize-Kanzler und Finanzminister ist, mit diesem kraftvollen Lebenszeichen den politischen Konflikt. Schließlich sorgt eine Kontroverse zwischen Koalitionspartnern für gesteigerte Aufmerksamkeit. Das ist wichtig für die angeschlagene SPD, denn viel zu wenig war bisher von der neuen und doch altbekannten Doppelspitze gekommen. Die Genossen haderten schon wieder.
Klar, Andrea Nahles hatte einen schweren Start: nur 66 Prozent Rückhalt bei ihrer Wahl, die eine Erneuerung nicht leichter machende Fortsetzung der ungeliebten Groko, und dann die weiter sinkenden Umfrageergebnisse. Wie da in die Offensive kommen? Eigenlicht fanden die Sozialdemokraten in den ersten Monaten des schwarz-roten Bündnisses kaum statt. Politik wurde ohnehin nicht gemacht, alles drehte sich um den Streit in der Union. Der SPD blieb nur die Zuschauerrolle. Was sollte Nahles auch tun, außer sich fremd zu schämen?
Fast unsichtbar Olaf Scholz. Der in der Partei zwar für seine Klugheit bekannte, aber wegen seiner Kühle und Arroganz ungeliebte Pragmatiker, verschanzte sich hinter seinen ersten Bundeshaushalt. Da war er wieder, der „Scholzomat“. 2003 hatte ihm „Die Zeit“ dieses Etikett verpasst, damals noch als SPD-Generalsekretär unter Gerhard Schröder. Nun muss Scholz als Vizekanzler sowohl die Politik der Bundesregierung als auch die der notleidenden SPD verkaufen. Eine schwere Aufgabe. Dass es Andrea Nahles trotzdem gelungen ist, ihn jetzt bei ihrer Attacke gegen die Union an ihrer Seite zu haben, spricht dafür, dass die beiden wirklich vorhaben, zusammen durch dick und dünn zu gehen. Es wäre das Mindeste, wollen sie die SPD aus der Krise führen.
Richtig auf alle Fälle, dass Nahles und Scholz in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik zur Attacke blasen. In der Außenpolitik ist die international bestens vernetzte und erfahrene Angela Merkel nicht so schnell vorzuführen. Auch Matthias Machnig, 1998 und 2002 SPD-Wahlkampfleiter, empfiehlt seiner Partei, die Innenpolitik ins Zentrum der Debatte zu stellen und sich darüber im Parteienspektrum zu definieren. Und noch eines fordert der Stratege: „Die Ziele der SPD können nicht am Koalitionsvertrag enden.“
Tun sie auch nicht länger, denn Olaf Scholz schießt mit seiner Forderung, dass die Bundesregierung statt bis 2025 zukünftig bis 2040 ein stabiles Rentenniveau garantiert, weit über diesen hinaus. Dabei hat Scholz am 12. März – er war kommissarischer SPD-Vorsitzender – den Koalitionsvertrag mit der CDU/CSU mit unterschrieben. Nun also aus purer Not der Vertragsbruch. Die SPD will zeigen, dass sie nicht nur kellnert, sondern auch kocht. Selbst mit einem Rentenwahlkampf drohen sie der Union schon mal, sollte die nicht zustimmen. Aber wie sinnvoll ist der im übrigen Milliarden Euro verschlingende SPD-Vorschlag überhaupt?
Das viel diskutierte Rentenniveau ist nichts weiter als ein prozentualer Richtwert, der zeigen soll, ob Renten und Löhne im Gleichklang steigen. Aber die Höhe der Prozentzahl allein sagt wenig aus. Wer immer wieder arbeitslos war oder sich um seine Kinder gekümmert hat, den rettet auch ein stabiles Rentenniveau nicht davor, unter die Armutsschwelle zu rutschen.
Die SPD muss sich also vorwerfen lassen, mit dieser Forderung Symbolpolitik zu betreiben. Es hört sich gut an, für ein längerfristiges, stabiles Rentenniveau zu kämpfen. Aber zum einen hätte die SPD das schon in den Koalitionsverhandlungen tun können. Und zum anderen hilft es jenen Menschen nicht, die ohnehin nur eine kleine Rente bekommen. Um Altersarmut wirklich zu bekämpfen, braucht es eine große Rentenreform. Doch Union und SPD verteilten lieber Wahlgeschenke und legten die Reform in die Hände einer Rentenkommission. Die aber kann nur Vorschläge machen, entscheiden muss die Politik. Eine vom Zaun gebrochene Debatte hilft da nicht weiter.
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