
Mittlerweile sind es wohl Millionen auf den Straßen. „Rettet Myanmar“ fordern ihre Plakate und: „Lasst Aung San Suu Kyi frei.“ Sie marschieren, fahren auf Mopeds, treffen sich als Berufsgruppen oder Unifakultäten, bilden so ihre Demonstrationsblöcke. Auch durch die festen Bande sozialer Zugehörigkeiten schafft es die Demokratiebewegung in Myanmar, seit Wochen immer mehr Demonstranten zu mobilisieren. Was sie wollen, ist klar: die Anerkennung der Wahl vom November, als die Demokratie-Ikone und Staatsrätin Aung San Suu Kyi gut 80 Prozent der Stimmen gewann.
Doch das Militär, das sich Anfang Februar mit einem bisher nicht weiter konkretisierten Vorwurf des Wahlbetrugs an die Macht putschte, will davon nichts wissen. Seit mehr als drei Wochen befindet sich das südostasiatische Land im Ausnahmezustand. Panzer rollen, Schüsse fallen, Menschen sterben. Einige Gebäude brennen, andere schließen, Informationskanäle werden gekappt. Und eigentlich dürfte das Militär langfristig kaum eine Chance haben: Schließlich ist offensichtlich eine erdrückende Mehrheit gegen eine weitere Ära der Diktatur mit Waffengewalt.
Aber im 54-Millionen-Land hat das Militär auch seine Sympathisanten. Nachdem Ende Januar der Oberste Befehlshaber Min Aung Hlaing einen Putsch nicht mehr hatte ausschließen wollen, waren rasch buddhistische Mönche auf die Straßen in Yangon gestürmt, der größten Metropole des Landes, um die Absetzung der demokratischen Regierung zu fordern. Schließlich sei unter Aung San Suu Kyis Partei NLD (Nationale Liga für Demokratie) der „nationale Geist“ nicht geschützt. Unter dem Militär, deren Würdenträger buddhistische Nationalisten zuvor hofiert hatten, würden die Aussichten besser. Dem Putschregime in Myanmar helfen die buddhistische Nationalisten. Sie sprechen von einer Bedrohung des Spirituellen durch die Demokraten. So plädieren Vertreter einer Glaubensrichtung, die anderswo für ihren Pazifismus geschätzt wird, hier auch für Gewalt.
Dabei ist Myanmar eigentlich ein diverses Land, Heimat mehrerer Religionen und Kulturen. Allerdings fühlen sich rund 90 Prozent der Menschen dem Buddhismus zugehörig, den man in westlichen Ländern meist mit Pazifismus und Toleranz in Verbindung bringt. Schließlich gilt als oberstes Ziel in der buddhistischen Lehre das Ablegen jeglichen Verlangens. In Myanmar aber wird der Buddhismus nicht nur als Anleitung für ein individuelles Leben verstanden, sondern auch als identitätsstiftend für das ganze Land.
Der nationalistische Teint des Buddhismus in Myanmar wird auch mit der britischen Kolonialherrschaft im Land erklärt, die in der ersten Hälfte des
19. Jahrhundert begann und nach einer kurzen Unterbrechung durch japanische Dominanz 1948 endete. Zur Sicherung der Kontrolle im damaligen Burma brachte die britische Krone indische Muslime und Hindi ins Land, die im Dienst des Kolonialreichs arbeiten sollten. Dort wurden besonders die Muslime als Bedrohung für die burmesische Lebensweise angesehen. Auf das Ende der britischen Herrschaft folgten vermehrt bewaffnete Konflikte zwischen ethnischen Gruppen.
Als 1962 das Militär die Macht übernahm und für ein halbes Jahrhundert regieren sollte, wurden zwar auch Buddhisten kleingehalten. In den letzten Jahren aber, als im Zuge der Demokratisierung im Land auch die Presse- und Meinungsfreiheit gestärkt wurde, gewannen insbesondere nationalistische Buddhisten an Aufmerksamkeit. Die Hardliner unter ihnen riefen zur gewaltsamen Unterdrückung und Vertreibung der muslimischen Minderheit der Ronhingya auf.
Ashin Wirathu, Oberhaupt eines Klosters in Mandalay und Führungsfigur der nationalistischen Organisation 969, deren Name für die Tugenden des Buddha stehen soll, ist die bekannteste Person. Aus seinem Hass gegenüber Muslimen macht Wirathu kein Geheimnis. „Tollwütige Hunde“ und „Kannibalen“ hat er sie schon genannt. Und der geputschten Staatsrätin Aung San Suu Kyi – die selbst nicht durch ihre Freundlichkeit gegenüber Muslimen aufgefallen ist – hat Wirathu vorgeworfen, die Rohingya retten zu wollen. Dagegen sagte er vor vier Jahren in einem Interview: „Aber ich werde sie davon abhalten.“
Was geschah, ist bekannt. Inmitten von Verfolgungen, Vergewaltigungen und Morden mussten 750.000 Rohingya ins benachbarte Bangladesch fliehen. Die damalige Staatsrätin Suu Kyi verteidigte ihren Staat daraufhin vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag gegen den Vorwurf des Völkermords. Suu Kyi schien schon damals zu wissen, dass sie auf einem Schleuderstuhl saß, dessen wichtigste Knöpfe das Militär kontrollierte. Auch wenn Suu Kyi den Umgang mit der Minderheit, die kaum fünf Prozent der Landesbevölkerung ausmacht, vermutlich nicht guthieß, verharmloste sie die Vergehen. Es habe sich um Einsätze gegen bewaffnete Rebellen gehandelt.
Der Mönch Ashin Wirathu wurde zwar im Jahr 2019 zum wiederholten Mal festgenommen und sitzt mittlerweile im Gefängnis für die Anstiftung von Unruhe. Allerdings gilt das Militär als Wirathu nahe stehend. Zuletzt wurde der Oberste Befehlshaber Min Aung Hlaing, der für die Unterdrückung der Rohingya maßgeblich verantwortlich ist, mit einem Orden einer nationalistischen buddhistischen Organisation ausgezeichnet. Schließlich habe dieser die Rasse, Sprache und Religion Myanmars gerettet. Mehrere Beobachter erwarten nun, dass Wirathu demnächst freigelassen werden könnte.
Dabei sind die Vertreter des Buddhismus in Myanmar nicht per se auf der Seite des Militärs. Unter den Gegnern des Putsches befinden sich dieser Tage auch Mönche. Und sie marschieren nicht zum ersten Mal für Demokratie. Schon bei Protesten im Jahr 2007, die später als Safran-Revolution bezeichnet wurden und maßgeblich zur Demokratisierung des Landes beitrugen, spielten buddhistische Mönche eine zentrale Rolle. Heute halten sie in rote Gewänder gekleidet Schilder hoch: „Reject Military Coup“, wir lehnen den Militärputsch ab.
Tatsächlich werde die streng nationalistische Spielart des Buddhismus nur von einer Minderheit im Land unterstützt, sagt Soe Myint, Gründer und Chefredakteur des unabhängigen Medienunternehmens Mizzima, der seit dem Putsch aus dem Untergrund berichtet. „Aber der Oberste Befehlshaber könnte die nationalistischen Buddhisten an die Macht bringen“, so Myint. Deren Erzählung von der bedrohten Spiritualität des Landes könne dem Putsch schließlich auch einen ideologischen Anker geben.
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