
Es war ein überraschendes Urteil: Im Februar 2020 kippte das Bundesverfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen, also auf Wiederholung angelegten Sterbehilfe. Bemerkenswert war die Begründung. Karlsruhe betonte dabei das Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Noch bedeutender: Die Richter urteilten, die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, schließe das Recht ein, die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen.
„Das Urteil erschüttert mich. Es ist ein Dammbruch“, lautete damals eine der schärfsten Reaktionen auf den Richterspruch. Diese Worte sagte die Bremer Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther (Grüne). Unter anderem sorgte sie sich, dass ein „geschäftsmäßiges Angebot“ die Nachfrage steigern könnte. Umstrittene kommerzielle Angebote − unter anderem des früheren Hamburger Justizsenators Roger Kusch − waren ein Grund dafür, dass die Sterbehilfe von 2015 an ausdrücklich verboten war.
Nach dem Karlsruher Urteil ist die Sterbehilfe quasi ein rechtsfreier Raum. Damit ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis windige Firmen das „Geschäft mit dem Tod“ für sich wiederentdecken. Dringend braucht es eine Neuregelung, um solch potenziellen Anbietern einen Riegel vorzuschieben − und auch, um eine klare Rechtslage zu schaffen. So gab es seit dem Urteil bereits Fälle, in denen Vereine bei einem Suizid assistierten.
Eilig hat es daher eine fraktionsübergreifende Gruppe von 38 Bundestagsabgeordneten, darunter der Mitinitiator und SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. Es ist eine Art kleines „Drei-Parteien-Bündnis“, allerdings in einer recht ungewöhnlichen Kombination. Die Parlamentarier gehören SPD, FDP und Linken an. Ihr Gesetzentwurf hat vor wenigen Tagen eine wichtige Hürde genommen, denn die notwendigen Unterschriften von fünf Prozent der Abgeordneten sind erreicht, der Entwurf kann nun in den Bundestag eingebracht werden.
Die Vorlage bietet die Chance für eine neue, liberale Auslegung der Sterbehilfe. Die klare Botschaft: Der Gesetzgeber sollte Moralvorstellungen nicht über die Selbstbestimmung von Menschen stellen. Käme der Gesetzentwurf durch, wäre das endlich ein Abgesang auf den bisherigen, eher restriktiven Kurs im Umgang mit der Sterbehilfe. Konkret wollen die Parlamentarier Sterbewilligen den Zugang zu tödlichen wirkenden Medikamenten ermöglichen, darüber entscheiden sollen Ärzte, kommerzielle Angebote werden verboten. Beratungsgespräche und Fristen sollen sicherstellen, dass der Todeswunsch unbeeinflusst zustande gekommen und ernsthaft ist. Parallel sollen − und das ist auch unbedingt notwendig − Palliativmedizin und Prävention verbessert werden. Ähnliche Ziele verfolgt ein Gesetzentwurf der Grünen. Ein Unterschied: Der Vorschlag unterscheidet zwischen Schwerkranken und anderen „Lebensmüden“. Bei Letzteren soll eine Landesbehörde entscheiden, ob der Zugang zu einem todbringenden Medikament ermöglicht wird.
Mit Spannung wird erwartet, wie die Abgeordneten von CDU und CSU auf die beiden Vorstöße reagieren. In ethischen Fragen gelten viele Unionspolitiker als wertkonservativ. Einer ihrer Wortführer ist Markus Grübel, Co-Vorsitzender des interfraktionellen Gesprächskreises Hospiz. Der CDU-Politiker macht eine klare Ansage: „Als Christ und als Parlamentarier sehe ich es immer noch als elementarste Aufgabe an, das Leben bis zum Ende zu schützen.“ Grübel treibt die Sorge um, dass die Selbsttötung zur Normalität werden könnte. Eine weitere Warnung aus konservativen Kreisen geht davon aus, dass Suizidhilfe den Druck auf Schwerkranke und Pflegefälle erhöhen könnte, die Selbsttötung als „Ausweg“ zu wählen. Es soll es ja Erben geben, die gar nicht schnell genug erben können. Ihnen stehen allerdings viele Menschen gegenüber, die sich um ihre Angehörigen bis zum Schluss aufopferungsvoll kümmern.
Gute Argumente haben beiden Seiten. Und es geht auch nicht um falsch oder richtig. Es ist nun einmal schwierig bis unmöglich, die Frage nach dem Ende des Lebens in ein Gesetz zu gießen, das jedem individuellen Fall gerecht wird. Aber eine neue Regelung muss das Recht derer stärken, die einen klaren Todeswunsch äußern.
job4u ist die regionale Plattform, wenn es um Lehren und Lernen geht. Neben dem WESER-KURIER, der Handelskammer und der Handwerkskammer Bremen machen sich hiesige Firmen für junge Leute stark.