
Als Oppositionspolitiker Juan Guaidó am Donnerstag auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos redete, kehrten vermutlich zur gleichen Zeit ein paar Tausend seiner venezolanischen Landsleute ihrer Heimat dauerhaft den Rücken. Und während US-Präsident Donald Trump einen Tag zuvor vor den Reichen und Mächtigen sprach, stürmten im fernen Guatemala Hunderte Migranten aus Zentralamerika gerade die Grenze zu Mexiko, weil sie unbedingt in die USA wollen. Die einen wie die anderen – hier Venezolaner, dort Honduraner, Guatemalteken und Salvadorianer suchen in Flucht und Migration ihr Heil. Mit der Hoffnung auf ein besseres Leben haben in den vergangenen Jahren mehrere Millionen Menschen in diesen Ländern ihre Heimat verlassen. Sie sind vor Armut, Gewalt, Perspektivlosigkeit, Bandenkriminalität oder einem autokratischen System geflohen.
Im Schatten der europäischen Flüchtlingskrise halten in Lateinamerika gleich in zwei Regionen wahre Völkerwanderungen an, die das soziale und wirtschaftliche Gefüge der abgebenden und aufnehmenden Staaten schon jetzt massiv verändert haben. Allein aus Venezuela sind in den vergangenen Jahren 4,6 Millionen Menschen ausgewandert. Sie sind gegangen, weil sie nicht mehr wissen, wie sie angesichts der Krise ihre Familien ernähren, wo sie Medikamente oder so banale Dinge wie Toilettenpapier auftreiben können. Oder sie gehen, weil sie dem autoritären chavistischen Regime und seiner Einengung und Verfolgung entkommen wollen. Durchschnittlich verlassen täglich 5000 Venezolaner ihre Heimat, manche nur vorübergehend, andere dauerhaft. Die Vereinten Nationen schätzen, dass bis Ende des Jahres die Zahl der Flüchtlinge auf 6,5 Millionen anwachsen wird. Damit werde das venezolanische Migrationsphänomen 2020 größere Ausmaße annehmen als das syrische, sagt Eduardo Stein, der Sondergesandte für Venezuela beim UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR).
Das Ausbluten Venezuelas hat massive Konsequenzen. Es fehlen Arbeits- und Fachkräfte im Land, Lehrer und Ärzte sind Mangelware. Erst ging die Ober-, dann die Mittel- und schon seit langem geht auch die Unterschicht. Hunderttausende wandern nach Peru, Ecuador, Chile und Argentinien aus, wo die Kolonien der Venezolaner inzwischen ganze Städte dominieren. Aber die deutlich meisten Venezolaner nimmt das Nachbarland Kolumbien auf. Alleine dort leben 1,6 Millionen Migranten, die meisten davon in der Grenzregion um die Stadt Cúcuta. Der Exodus stellt nicht nur die Sozialsysteme der aufnehmenden Länder vor enorme Herausforderungen, sondern führt auch zu einer Zunahme von Kriminalität, Ausbeutung und Prostitution.
Anders als die venezolanische Migration hält die Flucht aus Zentralamerika schon viele Jahre an. Schleichend verließen immer mehr Menschen aus dem „Dreieck des Todes“ (Guatemala, Honduras, El Salvador) ihre Heimat. Erst durch die großen Karawanen Ende 2018 an ist das Phänomen auch global wahrgenommen worden. Aber schon in den Jahren zuvor waren es bis zu 400 000 Flüchtlinge, die jedes Jahr versuchten, das gelobte Land zu erreichen – das für diese Menschen die USA sind.
In Zentralamerika ist die Situation noch dramatischer als in Venezuela. Dort befinden sich die Staaten seit Jahren in einem schleichenden Zerfallsprozess, charakterisiert durch unfähige und korrupte Politiker, wirtschaftliche Perspektivlosigkeit und dem Terror der Jugendbanden. Dieser Dreiklang treibt die Menschen zu Millionen in die Flucht. Sie haben nichts zu verlieren, die USA scheinen nah.
Was kann Europa aus den Flüchtlingskrisen in Lateinamerika lernen? Aus dem repressiven Umgang der USA und Mexikos mit den Flüchtlingsströmen aus Zentralamerika eher nichts. Vorbildlich scheint hingegen das Modell Kolumbiens. Auch wenn die Sozialsysteme und Auffangeinrichtungen immer knapp vor dem Kollaps stehen, ist es von der Regierung in Bogotá politisch gewollt, die venezolanischen Flüchtlinge zu integrieren, ihnen Obdach, medizinische Versorgung und vor allem die Chance auf Arbeit zu geben.
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