
Herr Kummer, der Landrat von Hildburghausen, Thomas Müller, steht nach Drohungen unter Polizeischutz. Wurden Sie auch schon bedroht?
Tilo Kummer: Ich habe in den sozialen Netzwerken schon einen aggressiven Ton wahrgenommen, aber noch keine Drohung gesehen. Ich kann verstehen, dass manche Menschen derzeit erheblich unter Druck stehen. Die Betroffenheit einzelner kann ich verstehen. Aber Drohungen gehen gar nicht. Ich kann nur dazu aufrufen, jetzt solidarisch zu sein.
Seit Mittwoch gilt im Landkreis Hildburghausen eine Allgemeinverfügung mit strengen Ausgangsbeschränkungen sowie geschlossenen Schulen und Kitas. Wie konnte es am Mittwochabend zu der Demonstration kommen?
Es war keine Demonstration, es wurden auch keine Reden gehalten. Seit Anfang der Woche wurde anonym in den sozialen Netzwerken dazu aufgerufen, spazieren zu gehen, um gegen die Allgemeinverfügung zu protestieren. Aber es gab keinen unmittelbaren Absender und keine Versammlungsanmeldung. Als Demonstration hat die Polizei das nicht gewertet. Wer hinter den Aufrufen in den sozialen Netzwerken steht, kann ich nicht sagen, ich bin nicht die Polizei.
Sie waren an dem Abend selbst kurz vor Ort: Welche Personen sind dort mitgelaufen?
Viele haben gesagt, sie wollen nur spazieren gehen. Es waren Menschen, die offenbar gegen die Allgemeinverfügung sind und die aus einer persönlichen Betroffenheit heraus kamen, etwa weil sie berufliche Einschränkungen erleben oder Schwierigkeiten bei der Betreuung ihrer Kinder haben. Auch sagten manche, dass sie Sorgen vor einer Zwangsimpfung hätten. Es waren aber auch Menschen vor Ort, die sich einfach nur ein Bild von der Lage machen wollten und die das sehr negativ fanden, was da passiert ist und das auch geäußert haben.
Der Landkreis Hildburghausen hat derzeit bundesweit das größte Infektionsgeschehen bei Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern. Woran liegt das?
Im Frühjahr hatten wir eines der niedrigsten Infektionsgeschehen, deswegen haben viele wohl gedacht, dass es keine reale Bedrohung gäbe. Der Ausgangspunkt für die vielen Neuinfektionen waren dann private Feiern. Für sie gab es sogar Hygienekonzepte. Doch Menschen, die gar nicht wussten, dass sie infiziert waren, haben bei diesen Festen viele andere angesteckt. Und das wurde dann auch erst recht spät festgestellt. So konnten sich die Infektionen wie ein Schrotschuss im ganzen Landkreis verteilen.
Welche Fehler wurden gemacht?
Es gab auch massive Probleme bei der Nachverfolgung, da wurden Fehler gemacht. Doch inzwischen gibt es bei der Nachverfolgung Unterstützung durch die Bundeswehr. In einem Pflegeheim sind 91 von 172 Bewohnern positiv auf das Virus getestet worden. Außerdem waren 50 Prozent der Kindertageseinrichtungen von Quarantänemaßnahmen betroffen, drei Feuerwehren waren abgemeldet, eine Rettungswache mit Krankenwagen konnte wegen der Quarantänemaßnahmen nicht fahren. Das macht im ländlichen Raum schon etwas, wenn die Erreichbarkeit nicht gewährleistet ist. Deswegen waren die Maßnahmen dringend geboten. Es geht darum, Menschenleben zu retten.
Wie wollen Sie Regeln besser durchsetzen?
Der Landkreis hat ein Amtshilfeersuchen gestellt, um Hilfe von den Gemeinden zu erhalten. Die Teams des Landratsamtes reichen offenbar nicht. Wir sind ein sehr großer Landkreis, haben aber nur 66.000 Einwohner. Wenn da jemand beschließt, eine Garagenparty mit Nachbarn zu feiern, lässt sich das kaum verhindern.
Sie haben gesagt, „die Information war bisher nicht die Beste“. Was wollen Sie nun an der Kommunikation ändern?
Der Ministerpräsident berät mit den Landräten, die Landräte treffen die Entscheidungen. Ich habe am Montag erst durch eine weitergeleitete Meldung vom Mitteldeutschen Rundfunk von den Neuregelungen erfahren. Dienstagmorgen habe ich dann Anträge für die Eltern in den Kitas ausdrucken lassen, um zu informieren, wer ab Mittwoch Notbetreuung bekommen kann. So haben die Eltern nur wenige Stunden gehabt, um die Kinderbetreuung am nächsten Tag zu organisieren. Da kommt es dann vor, dass manche sagen: Mensch, das überfordert uns, das könnt ihr nicht machen!
Was würde helfen?
Ein Tag mehr zwischendurch wäre hilfreich. Aber auch die Verwaltung der Landkreise ist für den Normalbetrieb gebaut. Deswegen dürfen wir uns jetzt nicht streiten, sondern müssen uns gegenseitig unterstützen. Das ist das A und O. Ich habe nun darum gebeten, dass das städtische Personal alle Eltern anruft und über die Regeln informiert. Wir müssen das gut begründen. Sie müssen sich vorstellen, viele Menschen auf dem Land lesen keine Tageszeitung, sie wissen nicht, wie viele Corona-Fälle es schon in den Kitas gab oder in den Altenpflegeheimen. Ab nächster Woche werden Massentests stattfinden. Wir hoffen, dass daran möglichst viele teilnehmen und die Zahlen runtergehen.
Das Gespräch führte Anna Thewalt.
Tilo Kummer (52)
ist seit März 2020 Bürgermeister von Hildburghausen. Der studierte Fischerei-Ingenieur gehört der Linken an und war zuvor Landtagsabgeordneter seiner Partei.
Höchster Wert in Deutschland
Im Landkreis Hildburghausen an der Grenze zu Bayern hat sich mit Stand Freitag die Zahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche auf rund 630 erhöht (Vortag: 602,9). Das ist der höchste Wert in Deutschland. Die Zahl der aktiven positiven Corona-Fälle liegt in dem 63.000 Einwohner zählenden Landkreis am Freitag bei 853. Seit der Wochenmitte gilt dort ein Lockdown mit strengen Ausgehbeschränkungen; Schulen und Kindergärten sind seitdem geschlossen. Dagegen hatten mehrere Hundert Menschen am Mittwochabend protestiert. Sie zogen singend durch die Straßen, viele trugen keinen Mund-Nasen-Schutz. Die Polizei zerstreute die Ansammlung mit Hilfe von Pfefferspray.
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Aber sobald absehbar ist was geht dann kann man auch wieder planen.