
Emmanuel Macron gefällt sich in der Rolle des Ideengebers, des Provokateurs, des Antreibers. So lässt sich verstehen, warum gerade er als französischer Präsident bisweilen mit undiplomatisch deutlichen Worten herausfordert und für Irritationen im Ausland sorgt. Nachdem er vor einem Jahr die Nato als „hirntot“ erklärte, urteilte er gerade, der UN-Sicherheitsrat produziere „keine brauchbaren Entscheidungen“ mehr. Eine durchaus nachvollziehbare Kritik angesichts der Blockadehaltung einiger Vetomächte bei Kriegen wie in Syrien, Jemen oder Libyen.
Bis zu einem bestimmten Maß ist Macrons Art Kalkül, passt es doch zum Image des kühnen Erneuerers, das er sich gegeben hat. Im Fall seiner jüngsten, über die Medien ausgetragenen Kontroverse mit Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer entspricht es auch dem gewollt selbstbewussten Auftreten eines europäischen Staatschefs, der die EU in den Rang einer nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch diplomatischen und militärisch unabhängigen Großmacht erheben will.
Auch wenn es ihm dabei keineswegs um die Abgabe nationaler Kompetenzen geht, so besteht Macron mit begrüßenswerter Entschiedenheit auf einem Zusammenlegen von militärischen Kräften. Ein geeintes Auftreten der EU-Mitglieder ist wichtig, um nicht zwischen den USA, Russland und China zerrieben zu werden. Außerdem entspricht seine Rhetorik dem – nicht nur in Frankreich – verbreiteten Bild, das mitunter schwerfällige Deutschland müsse angeschoben werden.
Die Wichtigkeit der europäischen Souveränität und seinen eigenen Führungsanspruch hat Macron oft betont. Der ausgeprägte Wille zur Unabhängigkeit von den USA hat eine lange Tradition in Frankreich, der nach dem Brexit einzigen verbleibenden Atommacht Europas. Sie geht auf den früheren Präsidenten Charles de Gaulle zurück, der Frankreich einst aus den Militärstrukturen der Nato zurückzog. Neu aber ist die Schärfe, mit der Macron Kramp-Karrenbauer angriff, während er sonst überwiegend die Gemeinsamkeiten mit Deutschland als wichtigstem Partner betont.
Kurz vor der US-Wahl Anfang November hatte die CDU-Chefin im Magazin „Politico“ geschrieben, dass die „Illusion über eine europäische strategische Autonomie“ ein Ende haben müsse: „Die Europäer können die entscheidende Rolle der USA als Garant für Sicherheit nicht ersetzen.“ Diese Einschätzung kritisierte Macron rüde als „Fehlinterpretation der Geschichte“. Die USA würden die Europäer erst als Alliierte respektieren, wenn sie sich souverän selbst verteidigen könnten. Damit liegen sie wieder auf dem Tisch, die traditionellen deutsch-französischen Unterschiede.
Mit der Bereitschaft zu gemeinsamen Rüstungsprojekten und dem Bekenntnis, eine geteilte sicherheits- und verteidigungspolitische Strategie anzustreben, hat sich die Bundesrepublik zwar in den vergangenen Jahren auf den französischen Partner zubewegt. In Paris hatte man nach Macrons europapolitisch grundlegender Sorbonne-Rede im September 2017 mit Bitterkeit festgestellt, dass das erwünschte Echo auf seine zahlreichen Vorschläge zur Vertiefung der EU-weiten Kooperation ausblieb. Und dabei nicht wahrgenommen, dass eine Zusammenarbeit nach deutscher Perspektive nicht darin bestehen kann, dass der französische Präsident vorschlägt – und Deutschland begeistert zustimmt. Wichtig ist, die Differenzen nicht zu übergehen, die sich kulturell und historisch bedingen.
Sie kommen nicht zufällig jetzt zum Vorschein, weil die Aussagen der Verteidigungsministerin die Furcht in Paris geschürt haben, nach der Wahl von Joe Biden zum US-Präsidenten sehe Deutschland weniger Grund, an einer „strategischen Autonomie“ zu arbeiten, sondern flüchte sich wieder unter den Rockzipfel von USA und Nato.
Tatsächlich lässt sich das Gewicht USA bei allen wichtigen globalen Themen nicht leugnen. Richtig ist aber auch, dass Europa nicht umhinkommt, eigene Positionen zu finden und zu verteidigen. Das zeigte nicht zuletzt die Erfahrung, zu welch einem unzuverlässigen Partner die USA unter Donald Trump geworden sind.
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